Alphamädchen contra Gender Studies
Post-, Neo- oder Alphamädchenfeminismus? Roche oder Schwarzer? In die aktuelle Debatte schalten sich nun auch Gender-Theoretikerinnen ein und sagen: Alles schon mal da gewesen. VON SONJA VOGEL
Am Montagabend hatte das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien unter dem Titel "Feminismus (heute) und Gender Studies" zu einer Diskussion eingeladen.
Der Raum im Hauptgebäude der Berliner Humboldt Universität war so voll, dass die Juraprofessorin und Moderatorin der Veranstaltung, Susanne Baer, sich bei den rund hundert Interessierten entschuldigen musste. Nur die Hälfte von ihnen hatte einen Sitzplatz bekommen. Ist die Debatte um "Wir Alphamädchen" und "Feuchtgebiete" - und die anderen Bücher, die meist in einem Atemzug genannt werden - ein subtiler Wiedergänger der Gender Studies? Auf diese Frage reduzierte Baer die Diskussion gegen Ende der Veranstaltung. Die Frage blieb offen. Das Podium bot einen Querschnitt der Gender-Forschung. Dort saßen Hildegard Nickel und Christina von Braun, Professorinnen der Soziologie beziehungsweise der Kulturwissenschaften und wie Baer Lehrende der Gender Studies. Dazu der Doktorand Karsten Junker, Danilo Vetter aus der Fachschaft der Gender Studies und Mee Hwa Ruf, die studentische Gleichstellungsbeauftragte der HU.
Zunächst hatte Baer die Podiumsteilnehmer gebeten, über das Verhältnis von Gender Studies und Feminismus zu reflektieren. Schnell war klar, dass das gemeinsame Forschungsinteresse keine einheitliche Meinung bedeutet. Jeder gewichtete das Verhältnis anders. Einig war man sich darin, dass die Gender Studies ohne den Feminismus nicht denkbar wären. Nickel betonte die politische Tradition des Feminismus, der Gesellschaftsverhältnisse in den Blick nahm, und damit Spuren in der Frauen- und Geschlechterforschung hinterließ. Dagegen grenzte sich von Braun vom Feminismus der zweiten Welle ab. Dieser habe sein Subjekt lediglich über die Frage der Benachteiligung und Opferrolle gefunden. Der Gegenstand genderkritischer Studien hingegen ist die symbolische Geschlechterordnung.
Erst durch diese erkenntnistheoretische Verschiebung ist in der Gender-Forschung Raum für zum Beispiel postkoloniale und -moderne Ansätze entstanden. Es ist die Erweiterung des Blickfeldes, die eine Annäherung an die Komplexität gesellschaftlicher Machtverhältnisse und die eigenen Verstrickungen ermöglicht. Dazu fragte Junker zu Recht, ob Gender Studies heute nicht Diversitätsstudien sein sollten. Die Diversitätsansätze laufen allerdings Gefahr, die Kategorie Gender zu verlieren. Die Tendenz der Infragestellung des eigenen Gegenstands deutet auf ein weiteres Standbein der Gender Studies hin, nämlich die Wissenschaftskritik, die die Verquickung von Wissensproduktion und Macht thematisiert. Die Bedeutung struktureller Machtverhältnissen dürfe über "Befindlichkeitansätze", Konzepte des "Doing Gender" oder "queere" Lebensentwürfe nicht verloren gehen, betonte Nickel.
Die Teilnehmer waren sich da nicht einig. Was würde eine Öffnung für alle bedeuten, wie einige das fordern? Vielen scheint, dass die "Alphamädchen" nicht über eine Nabelschau hinauskommen. Andererseits öffnet sich die mediale Öffentlichkeit vielleicht mithilfe der "Alphamädchen"-Diskussion für den Feminismus, den "Feminismus 2.0" (Vetter). Dass das aber wirklich eine Chance ist, aus dem Spezialdiskurs auszuscheren und Öffentlichkeit zu gewinnen, darf bezweifelt werden. Von Braun verwahrte sich dagegen. Die genderkritische Forschung offeriere Möglichkeiten zuhauf, die gerade vom medialen Mainstream angeprangert würden: "Die Gefahr ist sehr groß, dass das ,Bashing' mithilfe der Alphamädchen weitergeführt wird."
Die Debatte kochte hoch, als eine anwesende Autorin der Anthologie "Hot Topics" den Popfeminismus als "glamouröse Variante" des Feminismus lobte.
Es ist das alte Lied: Kann man den Mainstream kritisieren und gleichzeitig Teil von ihm sein wollen? Auf den "Glamour" anspielend, drehte Baer die Frage um: "Ist es so hip, weil es so sexy ist? Und welche Strukturen werden durch diesen Rückgriff bestätigt?" Der semantische Raum, in dem man sich bewegt, ist ja gerade der Knackpunkt - und nicht nur das Problem der "Alphamädchen".
Letztendlich drehen sich diese genau wie die Gender Studies um die Eckpunkte der Geschlechterverhältnisse. Auch bei den "Alphamädchen" kommen wieder die ewig alten Themen auf den Tisch: Sex, Körper, der Umgang mit Ungleichheit. Und das, obwohl sie sich vehement vom "alten" Feminismus abgrenzen, weil Alice Schwarzer ja wirklich nervt. "Dieses allgemeine Genervtsein ist vielleicht ein Genervtsein darüber, dass es genau diese alten Probleme immer noch gibt", resümiert Baer.
So oder so scheint Vorsicht geboten zu sein, um, lässt man sich auf die Debatte ein, nicht einer subtilen Form des Antifeminismus aufzusitzen. Baer: "Denn vielleicht ist der neue Feminismus genau das?"
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