Mittwoch, 11. Juni 2008

Eine Außenansicht von Juli Zeh

Wer schlau ist, spielt mit
Alice Schwarzer, Charlotte Roche und Eva Herman: Wie Frauen im Feminismusbetrieb ihr Auskommen sichern.

Neulich bin ich bei der Familie einer Freundin zu Besuch. Nach dem Abendessen läuft der Fernseher.
"Guckt mal", ruft die Mutter meiner Freundin, "da ist Alice Schwarzer!" Das wäre mir ohne den Hinweis kaum aufgefallen. Ich dachte immer, das Gesicht von Alice Schwarzer würde gewissermaßen ab Werk auf alle Fernsehbildschirme gemalt.
"Früher war die immer so aggressiv", sagt die Mutter meiner Freundin, die übrigens 1942, also im selben Jahr wie Frau Schwarzer, geboren ist. "Inzwischen hat sie aber reden gelernt und lacht auch gern. Hat sich toll entwickelt, die Frau. Sieht auch gut aus für ihr Alter."
Vom Monster zur Marke: Treffender als die Mutter meiner Freundin könnte man die Transformation des deutschen Feminismus wohl kaum zusammenfassen. Alice Schwarzer, das ehemalige "Sturmgeschütz der Gleichberechtigung" (Harald Schmidt, in lobender Absicht), wurde vom Medienbetrieb sauber für die eigenen Reihen rekrutiert.

"Lest ihr eigentlich Emma?"
Meine Freundin und ich sehen uns an. Wir lesen Emma nicht, und wir kennen auch niemanden, der Emma liest. Warum sollten wir auch? Selbst Alice Schwarzer wählt, wenn sie etwas Provokatives über Burma zu sagen hat, nicht ihre eigene Zeitung als Sprachrohr, sondern die FAZ.
Der gute alte Kampf gegen Pornos kinderleicht modernisiert
Einstweilen titelt Emma mit den Gefahren der Online-Sexsucht für den Mann von heute. So lässt sich der gute alte Kampf gegen die Pornographie kinderleicht modernisieren: Man tut einfach ein bisschen Internet dazu. Erkenntnisgewinn und gesellschaftliche Relevanz tendieren trotzdem gegen null.
Die Gründe dafür, warum Alice Schwarzers Medienpräsenz ungebrochen ist, während der klassische Feminismus, den sie verkörpert, in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sind simpel.

Frau Schwarzer ist, ob zu Recht oder zu Unrecht, die personifizierte Perpetuierung des weiblichen Opferschemas. Die Reduzierung komplexer Zusammenhänge auf Schwarz und Weiß, das Anbieten handlicher Mann-Frau-Antagonismen passt den Talkshows mit ihrem Parolengestus bestens in den Kram.

Dabei ist das Medienphänomen Schwarzer gerade deshalb so beliebt, weil es als solches den bestehenden Strukturen nicht gefährlich werden kann. Hinter den Kulissen liegen sich sämtliche Protagonisten in den Armen; Schattenboxen ist ihr Geschäft. Deshalb kann Alice Schwarzer heute für Bild werben und von Harald Schmidt, dem Altmeister des chauvinistischen Witzes, einen Publizistikpreis entgegennehmen.
Wenn die Intimrasur zum politischen Problem wird
Einstweilen versucht die nachfolgende Generation unter dem uralten Etikett "neu" eine Wiederbelebung des Feminismus durch Mund-zu-Möse-Beatmung. Die "neuen" Vertreterinnen nennen sich gern "Girls" oder "Mädchen", haben reden gelernt, lachen auch gern und sehen nicht nur für ihr Alter gut aus.
Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden; auch nicht gegen das Projekt, den Geschlechterkampf im dualen System der Unterhaltungsindustrie zu recyceln und damit tüchtig Geld zu verdienen. Von mir aus können junge Frauen auch gern ungewaschene Mösen und Vaginasekret in Döschen als eine Form weiblicher Freiheit betrachten - der wahre Kern der Freiheit in unserem Land besteht ja gerade darin, dass wir (fast) jedem Schwachsinn eine Ausdrucksmöglichkeit zugestehen.

Ärgerlich wird es, wenn durch die Verwendung des Begriffs "Feminismus" andere Frauen in Sippenhaft genommen und Alleinvertretungsansprüche behauptet werden. Vielleicht befreit es von einem gewissen psychischen Druck, die totale Reduzierung der Frau auf ihren Körper eigenhändig zu Ende zu führen, indem man Intimrasur zu einem politischen Problem erhebt.

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