Sie nennen sich „Alphamädchen“ oder „neue deutsche Mädchen“ und sind doch längst dem Pubertätsalter entwachsen. Vertreterinnen der Generation 30plus propagieren selbstbewusst einen neuen Feminismus und wollen sich befreien - nicht von den Männern, zu aller erst von Alice Schwarzer. Von ihr, der Urmutter des bundesdeutschen Feminismus und Wegbereiterin der Frauenemanzipation, fühlen sich die Berliner Autorinnen Jana Hensel und Elisabeth Raether oder auch die „Alphamädchen“ Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl nicht mehr vertreten. Zu männerfeindlich, zu lustfeindlich, zu verbissen ist für sie die Emma-Gründerin. Ihre Verdienste finden zwar auch noch bei den Jungen Anerkennung. Doch der Kampf gegen das Patriarchat und für die Abtreibung war gestern, und Schwarzers PorNo-Kampagne ist für sie von vorgestern. Die Feministinnen von heute wollen anstelle einer politischen Auseinandersetzung lieber zum Ausdruck bringen, wie „Frausein aus der persönlichen Perspektive“ aussieht. Und wie persönlich das sein kann, zeigt eine weitere Neu-Feministin: Charlotte Roche. Ihr Tabubrecher–Buch „Feuchtgebiete“, in dem sie mit Hingabe die weibliche Intimsphäre erforscht, ist über Nacht zum Top-Seller geworden.
Fast milde reagiert Alice Schwarzer auf die Attacken der „neuen Feministinnen“. Als Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin streitet sie unbeirrt weiter für die Sache der Frau.Jetzt wird Alice Schwarzer dafür mit dem renommierten Ludwig Börne-Preis ausgezeichnet.
ttt über Alice Schwarzer und die neuen Feministinnen, die sich „Mädchen“ nennen.
Text des Beitrags:
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Sie liebt den großen Auftritt. Alice Schwarzer, deutsche Ur-Mutter der Emanzipation, furchtlose Feministin und unermüdliche Kämpferin. Die sich von niemandem den Mund verbieten lässt... und das Highlight jeder Talkshow. Ihre Gegner müssen einstecken können - am Ende bleibt sie immer die lachende Dritte. Alice Schwarzer predigt, schimpft und mahnt. Und geht vielen auf die Nerven...
Alice Schwarzer: „Da mach ich mir keine Sorgen, umstritten bin ich und bleibe ich.“
Widerspruch kommt jetzt von unerwarteter Seite – von jungen Frauen, die sich Mädchen nennen, aber schon über 30 sind. Sie wollen aufmerksam machen auf Probleme ihrer Generation und haben deshalb das Buch „Neue deutsche Mädchen“ geschrieben und auch sie wollen sich emazipieren - von Alice Schwarzer allerdings....
Jana Hensel: „Alice Schwarzer ist so alt wie meine Mutter. Ich bin auch mit meiner Mutter nicht immer einer Meinung. Wir möchten für uns selber sprechen.“
Die 30-jährige Susanne Klingner hat zusammen mit zwei weiteren Autorinnen das Buch „Wir Alphamädchen“ verfasst. Gemeinsam lehnen sie den alten als militant empfundenen Feminismus von Alice Schwarzer ab.
Alice Schwarzer: „Also dieses Spiel, das ich seit 35 Jahren kenne, und das mir aus den Ohren kommt, die Schwarzer ist von gestern, frustriert, das haben wir schon so oft gehört.“
Wie war das eigentlich, damals, in den 1970er Jahren, als Alice Schwarzer ihre ersten Aktionen startete? Viel Prügel musste sie einstecken. Sie war die Frontfrau im Kampf gegen konservative Abtreibungsgesetze. Sie verklagte den Stern wegen Sexismus, rannte gegen Wände, trat heftige Debatten los. Sie gründete die Zeitschrift EMMA und vertrat einen harten politischen Feminismus, rhetorisch brilliant und absolut kompromisslos. Wenn heute zumindest vor dem Gesetz, die Gleichheit von Mann und Frau erreicht ist, dann ist das auch ihr zu verdanken. Doch heute können ihr manche nicht mehr folgen – etwa, als EMMA kürzlich die dritte Auflage ihrer PorNo-Kampagne startete.
Alice Schwarzer: „Wenn ich mich mit Pornografie beschäftige, dieser Verknüpfung von sexueller Lust mit Erniedrigung, Erniedrigung und Gewalt –und Pornografie ist ja nichts anderes – dann schlägt mir schon ordentlich Häme und Gegenwind entgegen.“
Und das ausgerechnet von einer, die Alice Schwarzer ehemals bewundert hat – die 30-jährige Charlotte Roche, deren Roman „Feuchtgebiete“ seit Wochen auf Nummer eins der deutschen Bestsellerlisten steht. In ihrem Buch erforscht die ehemalige VIVA-Moderatorin den weiblichen Intimbereich, beschreibt die weibliche Lust in drastischer Sprache. Keine sexuellen Tabus! fordert Roche in ihrem Roman.
Charlotte Roche: „Mein Problem ist mit der Meinung von Frau Schwarzer, dass sie sagt, grundsätzlich, Pornografie ist was Schlechtes – das find ich zu einfach. Wenn man sich da durchwühlt durch den ganzen Dreck, dann findet man viele Perlen, und die will ich mir nicht verbieten lassen.“
Charlotte Roche hat noch ein Problem mit Schwarzer - findet sie nicht mehr glaubhaft, wegen ihrer Werbeaktion ausgerechnet für die BILD-Zeitung... Ist Alice Schwarzer also längst nicht mehr die Instanz der Gleichberechtigung für diese junge Frauen? Gerade was Bildung angeht, haben sie ja mächtig aufgeholt. Aber was Beruf, Karriere und Einkommen angeht, stehen sie immer noch schlechter da als Männer. Und vieles, was ihnen heute als selbstverständlich erscheint, hat Alice Schwarzer einst erkämpft . Und sie legt auch heute noch den Finger immer wieder in die Wunden, oder besser - mitten in die weiblichen Problemzonen...
Alice Schwarzer: „Heute ist die Frage verschärft der Schönheitswahn. Oder der Schlankheitswahn. Ganze Klassen kippen in die pathologische Hungersucht. Das ist heute die Sucht Nummer eins von Frauen. Also es gibt neue Probleme. Während die Welt den Frauen offen steht, wird ihr Körper zum Gefängnis.“
Inzwischen haben sogar internationale Model-Agenturen das Problem erkannt und wollen keine Mager-Modelle mehr engagieren. Für Alice Schwarzer ist der Schönheitswahn ein Zugeständnis an männliches Begehren. Das wiederum bedeutet Unterwerfung. Die jungen Feministinnen widersprechen – sie halten zwar den Körperkult für übertrieben, aber sehen sich keinesfalls in einer Opferrolle.
Jana Hensel und Elisabeth Raether: “Schönheitswahn, Magersucht – das sind heute keine Mittel zur Unterwerfung der Frau, das sind Mechanismen, die laufen subtiler. Und das ist da, wo Alice Schwarzer ungenau wird, und da habe ich das Gefühl, sie spricht nicht für mich und die spezifisch weiblichen Probleme.“
Spezifisch weibliche Probleme – für die Autorinnen längst nicht mehr verursacht durch männliche Dominanz. Kein Wunder, denn sie wohnen im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, wo schon viele Männer die Kinder betreuen und die Gleichberechtigung in der Mitte der Familie angekommen zu sein scheint. Männerfeindlichkeit ist hier völlig out. Auch bei den Aphamädchen“..“
Susanne Klingner: „Der Ansatz, dass wir die Männer außen vorlassen, funktioniert für uns einfach nicht. Wir wollen die Männer dabei haben, wollen, dass sie sich mit uns entwickeln, mit uns versuchen, neue Lebensformen zu entwickeln, das ist schon der wichtigste Punkt.“
Die Kampfzone hat sich verschoben. Der Knackpunkt liegt für die Neu-Feministinnen in den vielen verschiedenen Rollen, die Frauen heute gleichzeitig ausfüllen: Sie sollen die coole Mutter sein, die erfolgreiche Karrierefrau und die Verführerin, die bei allem Stress nichts von ihrer Weiblichkeit verliert. Der reinste Rollensalat.
Alice Schwarzer : „Dieser Zynismus, dass man den Frauen gesagt hat, ihr könnt alles, ihr könnt Topkarriere machen, ihr seit supersexy, ihr seid tolle Mütter – natürlich, irgendwann brechen die mit Burnout zusammen.“
Susanne Klingner: „Das ist ein Folge des Feminismus und ein Missverständnis, dass aus einem 'Alles sollte möglich sein', ein 'alles muss sein' geworden ist. Aber Uns ist wichtig, wieder den Weg zu bereiten für ein: 'Alles soll möglich sein'. Also: Man kann alles, muss aber nicht.“
Es gibt noch viel zu tun – da sind sich wohl alle Frauen einig. Vielleicht liegen die alten und neuen Positionen gar nicht so weit auseinander. Könnte es nach den historischen Feministinnen des 19.Jahrhunderts und den Feministinnen der 70er Jahre, zu denen Alice Schwarzer gehört, demnächst eine gemeinsame Bewegung , geben - mit einem entspannteren Rollenverständnis?
Alice Schwarzer: „Es wird höchste Zeit für eine dritte Welle. Wenn sich das zusammen tun würde und mit einer gemeinsamen Stimme sprechen würde, wäre das fabelhaft.“
Wir jedenfalls gratulieren zum Börnepreis. Frau Schwarzer. Sie dürfen uns auch in Zukunft auf die Nerven gehen. Wir freuen uns drauf.
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