Die Väterlüge
KOMMENTAR VON INES KAPPERT für die TAZ
Was ist am Jubel über die "neuen Väter" eigentlich so unangenehm? Schlicht gesagt: die Faktenuntreue und der soziale Rassismus.
Ines Kappert ist Redakteurin im taz-Meinungsressort. Foto: taz In immer neuen Wellen diskutiert die deutsche Mittelschicht ihr Verhältnis zu Kindern und lotet so ihre Zukunft aus. Der neueste Joker sind "die neuen Väter". Obwohl nur 16 Prozent vom Elterngeld Gebrauch gemacht haben, gibt es einen enormen Hype um sie. Und zwar ungeachtet dessen, dass ihnen 84 Prozent traditionell gesinnter Väter gegenüberstehen. Die sehen ihre Kinder weiterhin beim Frühstück, beim Abendessen und am Wochenende.
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Wer auf diesen Umstand aufmerksam macht, gerät flugs unter Verdacht, den Anstrengungen der vorbildlichen männlichen Minderheit den Respekt zu versagen. Zumal wenn es eine Frau ist, die den Realitätsbezug einfordert. Warum diese Empfindlichkeit? Weil wir es hier mit heiklen Identitätsfragen zu tun haben. Die Streitfrage lautet: Stellt die Mutter nicht vielleicht doch die bessere Bezugsperson dar? Doch wenn Männer sich emanzipieren, müssen die Frauen, die mit ihnen leben, sich von der Anmaßung verabschieden, irgendwie seien sie immer schon die sozial Kompetenteren.
In der öffentlichen Diskussion liegt der Fokus woanders. Er liegt auf dem gesellschaftsverändernder Potenzial, das dem kinderzugewandten Vater zugesprochen wird. Im Gegensatz zur kinderzugewandten Mutter. Hier wird ein krasses Konkurrenzverhältnis zwischen Frauen und Männern aufgemacht. Politisch ist das höchst problematisch.
Sobald Männer Frauen starr gegenübergestellt werden, ist Vorsicht angesagt. Denn wir haben es nie mit Männern und Frauen "an und für sich" zu tun. Nie. Niemand ist nur Mann oder nur Frau. Stattdessen realisiert sich Männlichsein und Weiblichsein erst im Verbund mit Herkunft, Alter, finanziellem und kulturellem Kapital. Ein älterer Mann aus der Mittelschicht muss seine Maskulinität sehr anders unter Beweis stellen als ein 20-Jähriger aus einem Problemviertel. Männlichkeit ist nicht gleich Männlichkeit. Ebenso wenig wie Vaterschaft gleich Vaterschaft ist, Mütter gleich Mütter sind. Das ist eine ständig vergessene Banalität. Wer pauschal und universalisierend von Vätern und Müttern spricht, analysiert soziale Verhältnisse nicht, er oder sie übergeht sie. Auch deshalb sind die zahllosen Texte über neue Frauen, neue Männer, neue Väter mehrheitlich so uninformativ - und so beliebt.
Wo immer die Geschlechterfrage auf den Plan gerufen wird, gilt es daher den Blick für die sozialen und ökonomischen Verhältnisse zu schärfen, kurz: für die jeweils vorhandene Machtkonstellation. Dann aber stehen Männer und Frauen nicht mehr im unbeweglichen Gegensatz zueinander. Nicht selten spielt das Geschlecht bei den tatsächlich gebildeten Koalitionen eine nachrangige Rolle. Die eigentliche Frontlinie verläuft stattdessen zwischen zwischen Ober-, Mittel- und Unterschicht.
Erinnern wir uns: Die ganze Diskussion um väterliche Väter adressiert den Mann aus der Mittelschicht. Für Hartz-IV-Väter interessiert sich van der Leyen ebenso wenig wie ihre Fans. Umgekehrt ist bislang noch nicht aufgefallen, dass sich die Führungsriege der Republik um staatliche Vaterschaftsprogramme oder gar eine vaterfreundliche Firmenpolitik scherten. Entsprechend konzentriert das Familienministerium seine Energie auf die erreichbare Mittelschicht. Die Akademikerin soll Kinder bekommen. Die aber begnügt sich angesichts der schlechten Kinderbetreuung in der Regel mit nur einem Kind. Das reicht den Demografie-Adepten nicht. Immerhin sind in der Unterschicht und bei so genannten Migrantinnen zwei bis drei Kinder die Regel. Auf dem "neuen Vater" liegt damit die Hoffnung, die Mittelschicht am Leben zu erhalten. Das erklärt auch das große Interesse an ihm. Er soll verhindern, dass die Keimzelle des Staates "von unten" oder "vom Ausländer" überrundet wird. Er soll die Normalität sichern. Und zwar nicht, indem er Aufstiegsmöglichkeiten für Kinder aus prekären Verhältnissen schafft. Sondern indem er ein Sozialverhalten an den Tag legt, das Frauen ähnlicher Herkunft größere Freiräume sichert; sie so zur Reproduktion anregt.
Hinzu kommt, dass in einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft, die zunehmend auf Stressresistenz und kommunikative Fähigkeiten setzt, autoritäre Selbstbezogenheit wenig hilfreich ist. Kinder aber vermitteln soziale Kompetenz - wenn alles gut geht. Insofern hat der Trend zum aktiven Vater zwei Stoßrichtungen: Er kämpft gegen die Schrumpfung der Mittelschicht und er will insbesondere gut ausgebildete Männer auch sozial für die ihnen zugedachten Leitungsjobs qualifizieren. Das Geschlechtergefälle wird so natürlich nicht behoben, sondern reproduziert. Mehr noch: So wie die Debatte um die neuen Väter und die neuen Familien geführt wird, hat sie ganz klar einen rassistischen Einschlag. Um so wichtiger ist es daher, journalistisch und soziologisch solide zu arbeiten. Und nicht mithilfe der Rede von "Mann und Frau" soziale Verhältnisse als naturgegeben zu deklarieren. Die Mittelschicht hat kein naturgegebenes Recht auf eine Sonderbehandlung. Ihre Kinder sind nicht mehr wert als die, die in schwierige Verhältnisse hineingeboren werden.
Nichts ist dagegen einzuwenden, wenn Männer daran arbeiten, ihre Männlichkeitsperformanz um Fürsorglichkeit zu ergänzen. Gar nichts. Doch werden "neue Väter" als neue Hoffnungsträger "den" Frauen pauschal entgegensetzt, streitet man nicht für die Emanzipation unserer Gesellschaft. Man sichert vielmehr die Privilegien für "die Mitte" ab.
Die Alternative zu solchen sozial-rassistischen Schutzmaßnahmen ist der kinderfreundliche Umbau der Arbeitswelt. Häufig kritisieren engagierte Väter, mit welcher Skepsis ihnen Chefs und Kolleginnen begegneten, wenn sie flexible Arbeitszeiten forderten oder wenn sie Termine verschieben, weil das kranke Kind von der Kita abgeholt werden muss. Klar, nichtkonformes Verhalten ruft Unmut hervor. Das müssen alle erleben, also auch Väter. Doch in ihre Beschwerde mischt sich zunehmend Euphorie. Einige beschwingt mittlerweile die öffentliche Unterstützung von aktiver Vaterschaft geradezu.
Theoretisch ist ihre Zuversicht berechtigt. Männer sind deutlich besser gewerkschaftlich organisiert als ihre Kolleginnen. Auch die Manager sind in der Regel männlich. Wenn sie wollen, dann können sie ihre Betriebe kinderfreundlich umrüsten. Lippenbekenntnisse gibt es schon in rauen Mengen. Laut Bericht des Familienministeriums sehen "etwa zwei Drittel eine Reduzierung oder Unterbrechung der Berufstätigkeit von Vätern als ,gar nicht problematisch'." Umso erstaunlicher, dass praktisch so wenig passiert. De facto ist die Verbindung von Beruf und Familie weiterhin ein Frauenproblem. Entsprechend viele Mütter arbeiten Teilzeit und gehen der Altersarmut entgegen. Erst wenn diese Tatsache im Zusammenhang mit den "neuen Vätern" diskutiert wird, gibt es wirklich Anlass zum Jubeln.
Dienstag, 4. November 2008
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