Samstag, 28. Juni 2008

Frauen coachen Frauen / Juninewsletter / Interview mit Julia Witt

FcF: Frau Witt, könnten Sie den Leserinnen unseres Newsletters einen Überblick über Ihren
beruflichen Werdegang geben?

Julia Witt: Von Haus aus bin ich Diplomkulturwissenschaftlerin, habe an der TU unterrichtet
und eine Dissertation begonnen (leider nur begonnen…), dann im Bereich
Stadtraumgestaltung und im Bereich Jugendpolitik gearbeitet. In der Zeit war ich u.a. die
Landesvorsitzende der Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin – eine
besonders spannende Zeit. Über die Jugendpolitik bei einer großen Stiftung bin ich dann in
die politische Leitungsebene der Senatsverwaltung für Jugend und Sport gekommen und
war persönliche Referentin bei Staatssekretär Frank Ebel.
Und nun bin ich seit 2001 bei Wirtschaft und nach einer Zeit als Persönliche Referentin von
Staatssekretär Volkmar Strauch, seit Juli 2003 Büroleiterin des Senators Harald Wolf.

FcF: Vielen BerlinerInnen sind Sie bekannt als Herausgeberin der Guten Nachrichten. Können Sie unseren Leserinnen, die nicht aus Berlin stammen, erklären worum es sich dabei handelt?

Julia Witt: Häufig gehen ja genau die positiven Alltagsnachrichten unter und finden keinen
Platz in den Medien. Deshalb gibt es die „Guten Nachrichten“. Sie sind ein Kundenbrief, der
Akteure aus Berlin und darüber hinaus unterrichten soll, was in unseren Themenfeldern, also
Wirtschaft und Frauen, aber auch Arbeit und Stadtraum, passiert. Es sind keine Interna, aber
doch sehr persönliche Informationen, die inzwischen eine kleine Fangemeinde haben.
Besonders wichtig ist mir die Vielfältigkeit, dass es keine homogenen Wirtschaftsnews sind,
sondern über Gruppen und Interessen hinweg Impulse gesetzt werden. Und sie sind ein
schöner Anstoß, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
FcF: Was organisieren Sie noch? Wo engagieren Sie sich noch?
Julia Witt: Sich mit anderen Frauen auch dafür zu engagieren, ihre beruflichen und
persönlichen Perspektiven zu entwickeln, ist mir – wie auch Ihnen – ein Bedürfnis. Eine
Zeitlang war ich Vorsitzende des Frauenbeirates im Prenzlauer Berg und habe auch
Vorträge zur Frauenliteratur gehalten. Jetzt lade ich zusammen mit Frau Liebich, der
Staatssekretärin für Arbeit, zu einem Frauensalon ein. Natürlich verfolge ich auch aktiv all
das, was die Frauenverbände und Netzwerke in Berlin auf die Beine stellen. Gerade jetzt
am 15.4. der Equal Pay Day vom BPW, war ja eine sehr gelungene Aktion, die auf die
Benachteiligungen von Frauen aufmerksam gemacht hat.

FcF: Darüber hinaus organisieren Sie in Brandenburger, also in der Provinz, noch ländliche Kultur?

Julia Witt: Im Norden Brandenburgs gibt es in der Tat nicht so viel Engagement, da sind die
Zuzügler und Wochenendnutzer wichtige Stützen des sozialen Lebens. Insofern haben wir in
unserem „Landhaus“ ( was mitten in der Stadt Fürstenberg ist ) begonnen, Lesungen und
Ausstellungen zu organisieren. Für mich auch ist das Gärtnern eine angenehme
Abwechslung geworden, und inzwischen hat sich über diese Aktivitäten ein fester
Freundeskreis “Gartenfreunde Fürstenberger Seenland“ etabliert. Es macht großen Spaß,
mit Menschen verschiedener Altersgruppen und Herkünfte zu planen und gemeinsam sich
auszutauschen. Bestimmte Probleme relativieren sich auch an der frischen Luft und mit
einem Spaten in der Hand aufs allerbeste.

FcF: „Nebenbei“ sind Sie Mutter und berufstätig in einem Vollzeitjob. Wie schaffen Sie es, das alles unter „einen Hut“ zu bekommen?

Julia Witt: Natürlich kommen Dinge zu kurz: Sport, abendliche Besuche in den attraktiven
Berliner Restaurants, Konzerthallen und Kneipen. Das Bier mit der Freundin ebenso. Auch
fehlen mir die Ruhe und der Erlebnishintergrund, mal wieder zu schreiben, das vermisse ich.
Ich gehe früh einkaufen und erledige Dinge, bin tagsüber meist im Büro und nehme keine
Arbeit mit nach Hause – und bin dann abends zwar spät da, aber dann voll für die Familie
da.

FcF: War das schon so, als Ihre Kinder noch kleiner waren? Wie haben Sie es während dieser Zeit geschafft, Kinder, Beruf und Ihre vielfältigen Interessen miteinander zu vereinbaren?

Julia Witt: In der Tat war es schwieriger – aber auch leichter. Ich wohne im Prenzlauer Berg
und habe damals am Kollwitzplatz gearbeitet – da war ich rasch mal dazwischen daheim,
wenn ich abends wieder los musste. Ich hatte großes Glück, weil bei uns noch zusätzlich
eine phantastische junge Frau wohnte, Anna war 15 und meine Tochter 5 , mein Sohn 6 –
sie war die Tochter eines Kollegen und mit ihrem Hund (! ) bei uns eingezogen. Wir haben
sie beim Abitur gestützt und gestärkt, sie hat die Kinder ins Bett gebracht, wenn ich abends
zu Ausschüssen musste – in der Zeit war ich auch Bezirksverordnete – und mit ihrer
liebevollen, anspruchsvollen und auch frauenpolitisch engagierten Sicht war sie den Kindern
wie auch mir eine ganz tolle Freundin.

FcF: Welchen Rat, können Sie unseren Leserinnen geben, wenn es um das Thema
„netzwerken“ geht? Ist das wichtig? Warum, warum nicht?

Julia Witt: Klares ja. Es verschafft Einsichten, man sieht und erfährt sich in anderen
Zusammenhängen als im täglichen Büroalltag, lernt die eigene Situation zu relativieren und
erhält Rat und Unterstützung. Ich persönlich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht,
dass manche Frauen in einem Frauennetzwerk zu viel erwarten, was sich ausschließt:
Freundschaft/ Nähe und Jobs und Karriereunterstützung. Fallenlassen und Rat und Politik
und Selbstvergewisserung: wer sind wir. Für viele, die tagsüber sehr angespannt sind,
verlangen zu Recht, dass ein Frauen-Netzwerk nicht die Machtspiele der Büroebene
fortführt, sondern frau entspannt sein kann und trotzdem angeregt wird. Reine Clubs, die mit
der Mitgliedschaft allein werben, reichen in Berlin nicht aus. Es gibt jeden Abend hundert
Optionen und da muss klar sein: was ist der Mehrwert, den ich davon habe, was bringt mir
mein Engagement hier, warum ist mein Mitgliedbeitrag hier richtig aufgehoben.

FcF: In Ihrer jetzigen Tätigkeit beschäftigen Sie sich viel mit frauenspezifischen Themen. Welche Themen brennen Frauen heute unter den Nägeln?

Julia Witt: Da kann ich nur Beispiele nennen:
1. Sinnerfüllende Berufstätigkeit und gerechte Entlohnung:
Gerade für viele Frauen würde ein Mindestlohn bedeuten, dass sie klar besser gestellt sind.
2. Liebe und Partnerschaft:
Es gibt mehr Optionen, aber es ist nicht einfacher, sich mit der Vielfalt der Lebensmodelle
auseinanderzusetzen. Gerade viele kluge Führungsfrauen sind im Privatleben ohne
adäquaten Partner und Berlin ist die Hauptstadt der Singles. Andererseits sind viele Paare
durch die Hartz IV Themen belastet, ein Partner ohne Einkommen oder eine eingefahrene
berufliche Situation ohne Chancen können zerstörerisch sein.
3. Globalisierung und Heimat:
Wer mit der Möglichkeit , aber auch dem Druck der globalen Berufsfelder operieren kann, ist
mobil – aber oft auch ohne Heimat. Heute hier, morgen in London oder sollte frau eher
chinesisch lernen? Mit dem weltweiteren Wettbewerb umzugehen, aber nicht zum seelischen
und praktischen Nomaden zu werden – dafür haben wir keine Erfahrungen der Eltern,
Vorfahren, da sind wir zwischen den Websites und Hochglanzzeitschriften ziemlich
überfordert, manchmal.

FcF: Wie sieht es aus in Berlin in Sachen berufliche Förderungen von Frauen
(Frauenquote), familienfreundliche Unternehmen und Kinderbetreuungsangebote für berufstätige Mütter. Wo gibt es aus Ihrer Sicht Schwerpunkte ?

Julia Witt: Spontan fallen mir drei Themen ein...

1. Ungleiches Einkommen abbauen:

Viele Frauen arbeiten im Dienstleistungsbereich, Reinigung, Bildung, Sozialwesen,
Einzelhandel, Pflege. Gerade dort wird häufig sehr niedrig bezahlt und da Frauen häufig
noch durch Pflege von Familienmitgliedern Teilzeit arbeiten, sind sie bis zur Rente an ein
geringeres Einkommen gekoppelt. Wer jung, mobil, ohne Kinder und global unterwegs ist, in
der Kreativwirtschaft oder in großen erfolgreichen Beratungsfirmen arbeitet, verdrängt dies
oft oder glaubt, die eigene Situation werde sich dank der guten Beziehungen besser
gestalten. Das ist gewiss oft auch so – dennoch sind frauenpolitische Themen immer noch
wert, dass man sie gesamtgesellschaftlich betrachtet und dafür kämpft.

2. Betreuung der Familien verbessern und auf breitere Schultern legen:

Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, deren Problematik (unsere Kollegin
Frau Daniel hat mal treffend gesagt, da gibt es nichts zu vereinbaren, sondern man muss
addieren...) ist in Berlin die Situation deswegen günstig, weil es gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt - auch für die unter 3 -Jährigen: In 2006 gab es einen Versorgungsgrad von rd. 42 % für die unter 3 - Jährigen, bei den Kindern von 3 - 6 lag er bei rd. 88 %, die Zahlen haben sich zwischenzeitlich eher verbessert, aktuellere liegen mir aber nicht vor, in dem Jahr von der Schule besuchen über 90 % der Kinder eine Einrichtung. Hinzu
zunehmend Angebote von flexibler Betreuung jenseits der üblichen Öffnungszeiten. Eine
entscheidende Verbesserung der letzten Jahre war die Ausdehnung der Betreuungsmöglichkeiten
im Grundschulbereich, früher war nach der 4. Klasse Schluss, jetzt geht es bis
zur 6. Klasse (allerdings qualitativ sind noch Lücken).

3. Qualitative Jobs für Frauen in Zukunftsfeldern

Das sind in Berlin .u. Gesundheitswirtschaft, Kreativwirtschaft, Mode – das sind Themen, in
denen Frauen Erfahrung und traditionell Wissen haben und mit ihren Stärken auch die
Entwicklung mitbestimmen können und müssten, die das Ganze nimmt.
Aber natürlich geht es auch um neue Formen der industriellen Fertigung – die
wissenschaftlich-technische Entwicklung dürfen Frauen nicht ignorieren, und sich nicht auf
ein Konsumentendasein reduzieren lassen. In den meisten asiatischen Ländern sind die
Frauen da vorn, und die Entwicklung ist für die Einzelnen häufig schwerer und es gibt mehr
Widerstände als in Deutschland. Da ist mehr drin!
Vielen Dank für das Interview.

http://www.frauen-coachen-frauen.de/src/newsletter/newsletter_fcf_06_08.pdf

Bericht von der Tagung WWW in Berlin von Martina Haas

World Women Work Kongress forderte am 21. Mai 2008 Frauen auf: „Just do it“
Die 6. World Women Work Konferenz, bei der sich alles um (Frauen-)Karrieren in einer
globalisierten Arbeitswelt drehte, ließ keinen Zweifel daran, dass gerade Frauen sich der
Globalisierung stellen müssen. Hochkarätig besetzte Podien diskutierten u. a. die Themen:
„Think Global - Karrieren in internationalem Umfeld“ und „Karriere mobil - Chancen und
Herausforderungen in der vernetzten Arbeitswelt.
Schirmherrin Prof. Rita Süssmuth stellte in ihrer Ansprache klar, dass die Globalisierung
nicht bevorsteht, sondern längst Realität ist. Sie plädierte dafür, global zu denken und lokal
zu handeln. Nachdrücklich warnte sie davor, pauschal Ängste aufzubauen, und plädierte
dafür, die Chancen, die die Globalisierung bietet, zu ergreifen. Insbesondere sollten Frauen
ihre Kompetenzen stärker einbringen.
Allerdings ergibt sich aus der aktuellen Studie des internationalen Beratungsunternehmens
Accenture „Chances and Challenges in a Multi-Polar World“, die auf dem Kongress
vorgestellt wurde, dass sich die meisten weiblichen Führungskräfte für die
Herausforderungen der Globalisierung so nicht gut gerüstet fühlen wie die männlichen.
Befragt wurden 4.100 Entscheidungsträger in Europa, Asien, Südafrika sowie Nord- und
Südamerika. In Deutschland fühlen sich 2/3 der weiblichen Führungskräfte schlecht
vorbereitet, während sich 49% der deutschen Manager gut vorbereitet sieht.
Ganz anders schätzen sich die Frauen in den aufstrebenden Schwellenländern China, Indien
und Südafrika ein: jeweils über 60% der Managerinnen halten sich für gut gewappnet, um
den Globalisierungsanforderungen gerecht zu werden. Wie viel sich für Frauen in den letzten
Jahrzehnten in Indien in puncto Gleichstellung getan hat, veranschaulichte die Rede der
indischen Botschafterin Meera Shankar. In Indien ist es mittlerweile sogar möglich, dass
Frauen aus der Kaste der sog. Unberührbaren hohe Positionen erreichen. Dies geschieht
noch nicht in großem Rahmen, aber dass ein solcher Erfolg überhaupt möglich ist, bedeutet
eine außerordentliche Ermutigung auch der Frauen aus anderen Bevölkerungsschichten.
Sehr zu denken gibt ein weiteres Ergebnis der Studie, wonach Männer und Frauen
unterschiedliche Prioritäten setzen, die sich karrierefördernd bzw. - hindernd auswirken:
Männer sind zum einen wesentlich häufiger bereit neue Technologien zu erlernen, zum
anderen übernehmen sie eher zusätzliche Verantwortung und komplexe Aufgaben. Auch
sind sie offener gegenüber beruflichen Standortwechseln und häufigen Reisen.
Ihre Martina Haas
Kontaktdaten: www.konzept.innovation.de oder www.ra-seiler-haas.de

Frauenarbeit zwischen Beruf und Berufung / Tagungsbericht

Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Netzwerks „Frauen & Geschichte Bayern“ fand in Kochel am See eine Tagung zum Thema „Arbeit macht das Leben süß? Frauenarbeit zwischen Beruf und Berufung“ statt. Das Netzwerk versteht sich als Schnittstelle zwischen universitär verankerter Frauen- und Geschlechterforschung und freiberuflicher historisch-politischer Bildungsarbeit. Somit richtete sich auch diese mittlerweile fünfte vom Netzwerk organisierte Tagung ebenso an ein frauenhistorisch arbeitendes Fachpublikum wie an eine interessierte Öffentlichkeit. Dementsprechend wurde auch im Verlauf der Tagung der Bogen von historischen Fragestellungen zur Frauenarbeit bis hin zu aktuellen Problemen in der Gegenwartsgesellschaft gespannt. Vertreterinnen unterschiedlicher Disziplinen kamen dabei miteinander ins Gespräch, was von vielen Tagungsteilnehmerinnen als besonders gelungen eingeschätzt wurde.
Link: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2152

Was ist weibliches Genie ? Berliner Zeitung 23. Juni 2008

Ein Gespräch mit der Philosophin Julia Kristeva

Sabine Rohlf

Mit ihren Arbeiten zu Sprache, Subjekt und Weiblichkeit - darunter Klassiker wie "Die Revolution der poetischen Sprache" oder "Fremde sind wir uns selbst" - ist die Literaturtheoretikerin, Psychoanalytikerin und Schriftstellerin Julia Kristeva, geboren 1941, seit vier Jahrzehnten eine der wichtigsten Denkerinnen des europäischen Feminismus. 1966 aus Bulgarien nach Frankreich gekommen, bekleidet sie dort seit 1976 einen Lehrstuhl an der Université Paris 7. Sie wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter der Hannah Arendt-Preis 2006. In ihrer neuen Trilogie "Das weibliche Genie. Das Leben. Der Wahn. Die Wörter", die sie gerade in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften vorstellte, widmet sie sich Hannah Arendt, Melanie Klein und Colette.

In früheren Arbeiten haben Sie sich vor allem mit männlichen Autoren wie Lautréamont, Mallarmé, Céline, Beckett oder Proust beschäftigt. Seit einigen Jahren konzentrieren Sie sich auf Frauen, warum?

Ich gelte ja als feministische Theoretikerin. Allerdings gab es lange kein Buch von mir, das meine Konzeption von Weiblichkeit ausarbeitet. Meine Studenten meinten, ich solle es schreiben.

Warum gerade diese drei Frauen - eine politische Philosophin, eine Psychoanalytikerin, eine Schriftstellerin?

Ich fand es unmöglich, verallgemeinernde Aussagen über Frauen zu machen. Es ist ja eine der Leistungen der Frauenbewegung, mit universalisierenden Konzeptionen über diesen oder jenen Teil der Menschheit zu brechen, und ich denke, dass eine feministische oder auch allgemeine Kulturtheorie mit konkreten Beispielen arbeiten sollte. Sie waren nicht schwer zu finden: Hannah Arendt ist unhintergehbar, wenn man sich dem Horror, den Tragödien des 20. Jahrhunderts zuwendet. Die Entscheidung für Melanie Klein hat mit meiner psychoanalytischen Arbeit zu tun: Sie bewegte sich nahe an Freud, war gleichzeitig sehr unabhängig, etablierte eine neue Richtung der Analyse. Mit diesen beiden Frauen sind wir bei den politischen Katastrophen, dem Wahn, der Psychose. Ich wollte aber auch zeigen, wie Frauen die Schrecken des 20. Jahrhunderts überwinden, der Melancholie entkommen. Viele der großen Schriftstellerinnen schafften das nicht, denken Sie an Marina Zwetajewa oder Virginia Woolf. Aber es gab auch viele Frauen in dieser Zeit, die ihr Leben, ihre Sinnlichkeit genossen, experimentierten und Freude daran hatten. Colette schrieb sehr enthusiastisch darüber und ist damit unter Schriftstellerinnen eine große Ausnahme.

Warum nennen sie diese drei Frauen "Genies"? Das ist ein ziemlich umstrittener, traditionell eher mit Männern verbundener Begriff.

Ja, "Genie" auf Frauen zu beziehen ist eine Provokation. Ich verfolge mit ihr zwei Ziele: Zum einen wende ich mich gegen die Tendenz, den Kampf für die Befreiung einer Gruppe auf Kosten der Individualität des Einzelnen gehen zu lassen. Sie kennzeichnet die großen Befreiungsbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, und es gibt sie auch unter Feministinnen. Daher der Appell: Bitte nehmt die Singularität, die individuellen Leistungen aller zur Kenntnis - das ist die Basis für jede Befreiung! Zweitens möchte ich zeigen, dass jede Frau, jeder Mensch über die Fähigkeit verfügt, über sich selbst hinauszuwachsen. Für mich ist Genie nicht das Unerreichbare, das Göttliche - es ist vielmehr die Fähigkeit, sich selbst zu überschreiten, und zwar in dieser Welt. Wer meine Bücher über Arendt, Klein und Colette liest, kann sehen, dass diese Frauen zunächst eine Menge Schwierigkeiten hatten, aber fähig waren, sie zu überwinden und ein Werk zu schaffen, das keineswegs romantisch, göttlich oder absolut gewesen ist, aber neue Horizonte eröffnet.

Sehen Sie darin etwas spezifisch Weibliches, immerhin heißt es im Titel "Le génie féminin"?

Natürlich hat auch jeder Mann die Fähigkeit, seine Einzigartigkeit zu kultivieren. Mein Eindruck ist aber, dass Frauen in unseren Demokratien gerade gute Bedingungen haben, sich weiterzuentwickeln. Ich beobachte eine Initiative, ein Begehren und eine Dynamik, die mich sehr beeindrucken. Im Vergleich dazu befindet sich Männlichkeit in einer Art Krise. Man kann das an Jungen sehen, die angesichts traditioneller Männlichkeitsmuster - große Denker, Konzernchefs usw. - Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Standards zu finden. Frauen sind dynamischer, sie mischen traditionell männliche und traditionell weibliche Rollen und Eigenschaften, haben neue Ideen.

Hier in Deutschland wurde in den vergangenen Wochen viel über den Mai 1968 geschrieben. Wie haben Sie ihn in Paris erlebt und wie schätzen Sie seine Bedeutung ein?

Es war zwei Jahre, nachdem ich aus Bulgarien nach Frankreich gekommen war, und ich war überwältigt von diesem Begehren, die Sexualität und die Phantasie zu befreien, die jungen Leute zu mobilisieren . Die Entwicklungen, die wir jetzt sehen - die der Frauen, die Rolle der jüngeren Generation, die Öffnung gegenüber ethnischen und religiösen Differenzen - sind in den Bewegungen der 60er-Jahre angelegt. Vor zwei Tagen sagte jemand zu mir: "Ich verstehe gar nicht, warum alle von 1968 reden, viel wichtiger war doch der Fall der Berliner Mauer." Aber selbst der Fall der Berliner Mauer ist eine Konsequenz aus einer Entwicklung, die 1968 begann. Sie gab auch Menschen in Osteuropa die Vorstellung, dass man die Gesellschaft verändern kann.

An den französischen Universitäten nach '68 spielten Philosophie und Theoriebildung eine entscheidende Rolle. Wie stellt sich das heute dar?

Es herrscht allgemein der Eindruck, dass es keine großen Denker mehr gibt. Ich glaube, das begann mit den Attacken gegen die französische Theorie, von der es hieß, sie sei irgendwas Unverständliches zwischen Mathematik und Geisteswissenschaften. Das war eine Art Abwehrreaktion der amerikanischen Universitäten, die sich wohl kolonisiert fühlten - und einige unserer theoretischen Entwicklungen wirkten wirklich ziemlich abstrakt. Dazu kommt, dass wir heute in einer Zeit des Sicherheitsdenkens leben, des Konservatismus, des "Cocooning", wozu die Art von Freiheit, um die es in diesen Theorien geht, nicht gut passt. Aber sie werden an den Universitäten weiterentwickelt und vernetzten sich wieder deutlicher mit konkreten Fragen, etwa der kulturellen oder sexuellen Differenz, der Migration, der Religion.

Sie selbst beschäftigen sich auch mit Religion, worum geht es dabei?

Ein Trend, der mich sehr interessiert, ist eine neue Annäherung an das religiöse Vermächtnis Europas. Ich denke, dass wir Kinder der Säkularisierung uns dieser Tradition stellen sollten. Ich selbst ordne mich dabei einer Moderne zu, die dies mit den Mitteln der Psychoanalyse tut. In meinem neuen Buch "Thérèse mon amour", das gerade in Frankreich erschienen ist, beschäftige ich mich mit Teresa von Ávila, einer Mystikerin aus dem 16. Jahrhundert. In ihren Visionen und ihrem Schreiben darüber entwickelte sie eine Form der Religiosität, die Glauben mit absoluter Liebe verbindet. Ihre Kreativität ist auch eine Form des weiblichen Genies, zwar keine des 20. Jahrhunderts, aber eine, von der wir in Zeiten des "Clash" der Kulturen und der Religionen einiges lernen können.

Das Gespräch führte Sabine Rohlf.

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ISt es hip, weil es sexy ist ? TAZ vom 18.6.

Alphamädchen contra Gender Studies

Post-, Neo- oder Alphamädchenfeminismus? Roche oder Schwarzer? In die aktuelle Debatte schalten sich nun auch Gender-Theoretikerinnen ein und sagen: Alles schon mal da gewesen. VON SONJA VOGEL

Am Montagabend hatte das Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien unter dem Titel "Feminismus (heute) und Gender Studies" zu einer Diskussion eingeladen.

Der Raum im Hauptgebäude der Berliner Humboldt Universität war so voll, dass die Juraprofessorin und Moderatorin der Veranstaltung, Susanne Baer, sich bei den rund hundert Interessierten entschuldigen musste. Nur die Hälfte von ihnen hatte einen Sitzplatz bekommen. Ist die Debatte um "Wir Alphamädchen" und "Feuchtgebiete" - und die anderen Bücher, die meist in einem Atemzug genannt werden - ein subtiler Wiedergänger der Gender Studies? Auf diese Frage reduzierte Baer die Diskussion gegen Ende der Veranstaltung. Die Frage blieb offen. Das Podium bot einen Querschnitt der Gender-Forschung. Dort saßen Hildegard Nickel und Christina von Braun, Professorinnen der Soziologie beziehungsweise der Kulturwissenschaften und wie Baer Lehrende der Gender Studies. Dazu der Doktorand Karsten Junker, Danilo Vetter aus der Fachschaft der Gender Studies und Mee Hwa Ruf, die studentische Gleichstellungsbeauftragte der HU.

Zunächst hatte Baer die Podiumsteilnehmer gebeten, über das Verhältnis von Gender Studies und Feminismus zu reflektieren. Schnell war klar, dass das gemeinsame Forschungsinteresse keine einheitliche Meinung bedeutet. Jeder gewichtete das Verhältnis anders. Einig war man sich darin, dass die Gender Studies ohne den Feminismus nicht denkbar wären. Nickel betonte die politische Tradition des Feminismus, der Gesellschaftsverhältnisse in den Blick nahm, und damit Spuren in der Frauen- und Geschlechterforschung hinterließ. Dagegen grenzte sich von Braun vom Feminismus der zweiten Welle ab. Dieser habe sein Subjekt lediglich über die Frage der Benachteiligung und Opferrolle gefunden. Der Gegenstand genderkritischer Studien hingegen ist die symbolische Geschlechterordnung.

Erst durch diese erkenntnistheoretische Verschiebung ist in der Gender-Forschung Raum für zum Beispiel postkoloniale und -moderne Ansätze entstanden. Es ist die Erweiterung des Blickfeldes, die eine Annäherung an die Komplexität gesellschaftlicher Machtverhältnisse und die eigenen Verstrickungen ermöglicht. Dazu fragte Junker zu Recht, ob Gender Studies heute nicht Diversitätsstudien sein sollten. Die Diversitätsansätze laufen allerdings Gefahr, die Kategorie Gender zu verlieren. Die Tendenz der Infragestellung des eigenen Gegenstands deutet auf ein weiteres Standbein der Gender Studies hin, nämlich die Wissenschaftskritik, die die Verquickung von Wissensproduktion und Macht thematisiert. Die Bedeutung struktureller Machtverhältnissen dürfe über "Befindlichkeitansätze", Konzepte des "Doing Gender" oder "queere" Lebensentwürfe nicht verloren gehen, betonte Nickel.

Die Teilnehmer waren sich da nicht einig. Was würde eine Öffnung für alle bedeuten, wie einige das fordern? Vielen scheint, dass die "Alphamädchen" nicht über eine Nabelschau hinauskommen. Andererseits öffnet sich die mediale Öffentlichkeit vielleicht mithilfe der "Alphamädchen"-Diskussion für den Feminismus, den "Feminismus 2.0" (Vetter). Dass das aber wirklich eine Chance ist, aus dem Spezialdiskurs auszuscheren und Öffentlichkeit zu gewinnen, darf bezweifelt werden. Von Braun verwahrte sich dagegen. Die genderkritische Forschung offeriere Möglichkeiten zuhauf, die gerade vom medialen Mainstream angeprangert würden: "Die Gefahr ist sehr groß, dass das ,Bashing' mithilfe der Alphamädchen weitergeführt wird."

Die Debatte kochte hoch, als eine anwesende Autorin der Anthologie "Hot Topics" den Popfeminismus als "glamouröse Variante" des Feminismus lobte.

Es ist das alte Lied: Kann man den Mainstream kritisieren und gleichzeitig Teil von ihm sein wollen? Auf den "Glamour" anspielend, drehte Baer die Frage um: "Ist es so hip, weil es so sexy ist? Und welche Strukturen werden durch diesen Rückgriff bestätigt?" Der semantische Raum, in dem man sich bewegt, ist ja gerade der Knackpunkt - und nicht nur das Problem der "Alphamädchen".

Letztendlich drehen sich diese genau wie die Gender Studies um die Eckpunkte der Geschlechterverhältnisse. Auch bei den "Alphamädchen" kommen wieder die ewig alten Themen auf den Tisch: Sex, Körper, der Umgang mit Ungleichheit. Und das, obwohl sie sich vehement vom "alten" Feminismus abgrenzen, weil Alice Schwarzer ja wirklich nervt. "Dieses allgemeine Genervtsein ist vielleicht ein Genervtsein darüber, dass es genau diese alten Probleme immer noch gibt", resümiert Baer.

So oder so scheint Vorsicht geboten zu sein, um, lässt man sich auf die Debatte ein, nicht einer subtilen Form des Antifeminismus aufzusitzen. Baer: "Denn vielleicht ist der neue Feminismus genau das?"

Deutscher Feminismus / Text aus dem Freitag

Ulrike Baureithel
Deutscher Feminismus


GRALSHüTERIN*Alice Schwarzer und der Fall einer Medien-Ikone


Das Kino lebt von seinen Stars, der Fußball und natürlich auch die Politik, denn was wäre die Linkspartei ohne Gysi und Lafontaine, die sich deshalb gelegentlich Würfe über die offizielle Linie politischer Korrektheit erlauben dürfen, ohne die Publikumsgunst zu verlieren. Bei den weiblichen Ikonen verhält es sich ein wenig anders: Dem allzu Menschlichen entzogen und aufs Podest gestellt, kann ein falscher Satz zur falschen Zeit oder eine Peinlichkeit schnell den freien Fall nach sich ziehen. Wenn gar beides zusammenkommt und die Grenzverletzerin normalerweise moralisch korsettiert den Marsch für allgemeine Frauenrechte bläst, hat die Republik eine ausgewachsene Affäre, die, sagen wir mal, eine Woche im globalen Mediendorf rumort.

Gleich zwei Mal ist Alice Schwarzer, seit 40 Jahren selbsternannte Beauftragte für korrekten Feminismus, dieser Tage ausgerutscht. Dass sie im katastrophengeschüttelten Burma kein "Elend" hat sehen wollen und dunkle Verdächtigungen über die Motive westlicher Hilfe ausstößt, bringt, das kann man noch verstehen, nicht nur die gerade gebeutelte Hilfsdienstlobby auf, sondern ausgerechnet jenes konservative Medium, das der Vorzeigefeministin sein Aufschlagblatt für den Kitschbericht zur Verfügung gestellt hat. "Haarsträubend", befindet ein FAZ-Schreiber in seiner großen Abwatsche Schwarzers Burma-Beitrag und gibt vor sich zu wundern, dass eine solch "selbstverliebte" Journalistin in der Jury des renommierten Henri-Nannen-Preises votieren darf.

Was hat die Frau, die von der Frankfurter Zeitung anlässlich der Verleihung des Börne-Preises bis vor kurzem noch gehätschelt und gerne von einem Talk-Tablett aufs andere gereicht wurde, nur ausgefressen, dass sie nun durch die Blätter gepeitscht und als "papistisch" verschrien wird? Sie hat, kaum angetreten, ihre Chefredakteurin gefeuert, ihr noch ein bisschen Dreck nachgeworfen und sich selbst wieder auf den Chefsessel gesetzt. Kein guter Stil, fürwahr, aber für demokratische Umgangsformen war Alice Schwarzer ohnehin nie bekannt. Hätte die nun mit Heuchlertränen begleitete Lisa Ortgies ein bisschen in den Archiven gewühlt, wäre sie auf einen offenen Brief aus dem Jahre 1980 gestoßen, in dem 32 ehemalige Mitarbeiterinnen der Emma, darunter Christina von Braun, Christiane Ensslin, Claudia Pinl und Cillie Rentmeister, Alice Schwarzer "Respektlosigkeit" gegenüber der Arbeit ihrer Kolleginnen, Selbstherrlichkeit und Dogmatismus vorwarfen. Vorangegangen waren schon 1979 Medienberichte über die "unerträglichen Arbeitsbedingungen" und den autoritären Führungsstil Schwarzers in dem - das wird heute oft vergessen - ursprünglich kollektiv gegründeten Zeitungsprojekt. Seither gab es keinen Anlass anzunehmen, im weiblichen Durchlauferhitzer in Köln hätte sich irgendetwas geändert: Ungezählt die Mitarbeiterinnen, die ihrer Schwester im Zorn das Handtuch hinwarfen.

Aber Alice Schwarzer ist eben mehr als irgendeine ziemlich unangenehme Chefin, mehr als eine nach "männlicher" Räson operierende Unternehmerin und mehr als eine fragwürdig urteilende Journalistin - Alice Schwarzer ist das Synonym für Feminismus made in Germany, und gäbe es so etwas für politische Marken, müsste hinter ihrem Namen das eingetragene Warenzeichen erscheinen. Das war, die Jüngeren mögen es nicht glauben, keineswegs immer so und, viele, sehr viele Feministinnen hätten sich, als sich die Bewegung in den achtziger Jahren differenzierte und klüger wurde, kaum mit dem Feminismus nach Kölner Hausmacherart identifiziert.

Aber gerade mit den Differenzierungen hat es die Medienwelt nicht, das gilt nicht nur für die Belange der Frauen. Simple Feindbilder, grobe Raster, eindeutige Schlagworte sind einfacher in ihr Kanalsystem einzuspeisen als der zweite Blick oder der zweite Gedanke. Und genau das hat die Emma-Frau immer geliefert. Während sich die Frauenbewegung auflöste und sich die Fraktionen in ihren diversen akademischen Denkübungen verloren, schaffte es Alice Schwarzer nicht nur, den Feminismus mittels solcher Vereinfachungen "auf dem platten Land" zu popularisieren, sondern auch, sich selbst - nicht zuletzt mit Hilfe der Medien - als dessen Gralshüterin aufzuwerfen. Sie hielt Kurs: Soldatinnen für den Krieg, wenn es der Gleichberechtigung nützt; wider das Kopftuch, allen feministischen Musliminnen zum Trotz; PorNo, auch gegen alle Einwände der Sexarbeiterinnen.

Das ist, angesichts der Weichspülungen, die der Feminismus in den letzten Jahrzehnten erlebt hat, durchaus eine, wenn auch nicht sonderlich "bewegende" Leistung. Doch der Aufbau zur feministischen Medien-Ikone hat einen Preis: Alice Schwarzer darf zwar für ein sexistisches Boulevardblatt Reklame machen, ohne vors Tribunal geladen zu werden; es ist auch nicht mehr degoutant, sich mit der konservativen Journaille zu verbünden oder mit Männerwitzlern à la Harald Schmidt, das gehört zur medialen Betriebsamkeit. Aber Menschliches, das darf sich eine Ikone Schwarzer nicht leisten: Neid auf eine jüngere Kollegin, Angst vor dem Abstellgleis, vor dem Älterwerden überhaupt. Eine Ikone lebt nicht, sie strahlt. Und gelegentlich, wenn der Scheinwerfer abdreht und sich einer anderen Sockelfigur zuwendet, fällt sie auch - ins Vergessen.

Praktisch ist das für die, die momentan am Schwarzer-Podest rütteln und den "Zickenkrieg" ausweiden. Bühnenreifer hätte sich das Schau-Duell kaum inszenieren lassen, das einmal mehr zeigt, dass Frauen auch nur Männer sind und alte Frauen die schlimmsten: Altersstarrsinniges Alphatier prügelt Alphamädchen aus dem Haus, die Alphamännchen reiben sich die Pfoten.

Aber, um nicht missverstanden zu werden, Alice Schwarzer ist keineswegs die "personifizierte Perpetuierung des weiblichen Opferschemas", wie die Schriftstellerin Juli Zeh kürzlich in der Süddeutschen meinte. Sie mag polares Denken verkörpern, aber ein "Opfer" ist sie, trotz aller offenkundigen Häme, nicht. Auch nicht Lisa Ortgies. Opfer ist, wenn man das überhaupt in eine solche Kategorie fassen will, der Feminismus oder das, was dank der nützlichen Zicken- und Generationenkriege an sozialen Belangen unerledigt bleibt.

Immerhin besteht Hoffnung: Einmal vom Sockel gestürzt, werden Ikonen ganz menschlich und sogar zur Selbsterkenntnis fähig. Bevor Alice Schwarzer aufs Podest gehievt wurde, ließ sie die teilnehmende Leserschaft - das war 1977 und ein Jahr nach Gründung von Emma - wissen: "Ich kenne meine Stärken, ahne aber auch meine Schwächen." Irgendwie scheint ihr diese Ahnung in den vergangenen 30 Jahren abhanden gekommen zu sein.

Mittwoch, 18. Juni 2008

Interviews der Zeitschrift AVIVA mit Führungsfrauen

6. WORLD WOMEN WORK - AVIVA-Berlin war Medienpartnerin.
Lesen Sie hier spannende Interviews
Sharon Adler

Think Global. Am 21. Mai 2008 fand in Berlin die sechste Auflage der WORLD WOMEN WORK Konferenz unter dem Motto "Just do it!" – Karrieren in einer globalisierten Arbeitswelt statt.


Die beruflichen Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen haben sich in den letzten zehn Jahren deutlich erweitert – nicht zuletzt aufgrund einer Arbeitswelt, die Ländergrenzen überschreitet und nicht nur den Blick über den nationalen Tellerrand, sondern auch den Sprung über diesen hinaus ermöglicht.
Gerade dieser Blick über Grenzen und traditionelle Arbeitsmuster hinweg macht deutlich: Frauen sind dabei, mit Leistung, Leidenschaft und Ehrgeiz die "Hälfte des Himmels" nicht nur für sich zu beanspruchen sondern sich auch zu greifen. Dass dies vor allem in Deutschland noch immer zu oft eine Entscheidung zwischen Karriere und Familie ist, gilt es als einen Auftrag zum Mentalitätswandel in Unternehmenskulturen und in der Gesellschaft anzunehmen.

Die Themen "Think Global – Karrieren im internationalen Umfeld", "Karriere mobil – Chancen und Herausforderungen in der vernetzen Arbeitswelt" und "Messbare Erfolge in Unternehmen durch aktive Diversity-Politik" diskutieren mit Ihnen kompetente SprecherInnen wie:

Katinka M. Ackermann, State Street Corporation
Judith Bogner, Bloomberg TV
Barbara Brosius, UBS Deutschland AG
Prof. Sissi Closs, Comet Computer GmbH
Corinna Emundts, Politische Journalistin
Catrin Hinkel, Accenture
Anke Hunzinger, Solon AG
I.E. Ruth Jacoby, Schwedische Botschaft
Susanne Klöß, Accenture
Petra Ledendecker, Verband deutscher Unternehmerinnen e.V.
Prof. Dr. Ernst-Moritz Lipp, Odewald und Compagnie, Gesellschaft f. Beteiligungen mbH
Angelika Lipp-Krüll, Südwestrundfunk
Dr. Natalie Lotzmann, SAP Deutschland AG und Co. KG
Dr. Ljiljana Mitic, Hewlett-Packard GmbH
Dr. Martina Niemann, Deutsche Bahn AG
Dr. Brigitte Nijs, Procter und Gamble Service GmbH
Cornelia Sengpiel, Profiplaza GmbH und Co. KG
Vladimir Spidla, PhD, European Commission
Prof. Dr. Rita Süssmuth, Präsidentin des Bundestags a.D., Schirmfrau WORLD WOMEN WORK
Heiner Thorborg, Heiner Thorborg GmbH und Co. KG

Lesen Sie hier spannende Interviews (in Kürze folgen noch weitere, es lohnt sich also, öfter vorbeizuschauen):

Interview mit Meera Shankar - indische Botschafterin in Berlin

Interview mit Pia Bohlen-Mayen - Betreiberin von femity.

Interview mit Ruth Jacoby - schwedische Botschafterin in Berlin

Interview mit Catrin Hinkel - Geschäftsführerin bei Accenture im Bereich Communications und High Tech

Interview mit Angelika Lipp-Krüll - Gleichstellungsbeauftragte und erste stellvertretende Vorsitzende des SWR-Gesamtpersonalrates

Interview mit Petra Ledendecker - Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU)

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AVIVA-Berlin bedankt sich herzlich bei dem Hotel Hilton Berlin für die Bereitstellung eines Rechners und Internetzugangs!

Mittwoch, 11. Juni 2008

Eine Außenansicht von Juli Zeh

Wer schlau ist, spielt mit
Alice Schwarzer, Charlotte Roche und Eva Herman: Wie Frauen im Feminismusbetrieb ihr Auskommen sichern.

Neulich bin ich bei der Familie einer Freundin zu Besuch. Nach dem Abendessen läuft der Fernseher.
"Guckt mal", ruft die Mutter meiner Freundin, "da ist Alice Schwarzer!" Das wäre mir ohne den Hinweis kaum aufgefallen. Ich dachte immer, das Gesicht von Alice Schwarzer würde gewissermaßen ab Werk auf alle Fernsehbildschirme gemalt.
"Früher war die immer so aggressiv", sagt die Mutter meiner Freundin, die übrigens 1942, also im selben Jahr wie Frau Schwarzer, geboren ist. "Inzwischen hat sie aber reden gelernt und lacht auch gern. Hat sich toll entwickelt, die Frau. Sieht auch gut aus für ihr Alter."
Vom Monster zur Marke: Treffender als die Mutter meiner Freundin könnte man die Transformation des deutschen Feminismus wohl kaum zusammenfassen. Alice Schwarzer, das ehemalige "Sturmgeschütz der Gleichberechtigung" (Harald Schmidt, in lobender Absicht), wurde vom Medienbetrieb sauber für die eigenen Reihen rekrutiert.

"Lest ihr eigentlich Emma?"
Meine Freundin und ich sehen uns an. Wir lesen Emma nicht, und wir kennen auch niemanden, der Emma liest. Warum sollten wir auch? Selbst Alice Schwarzer wählt, wenn sie etwas Provokatives über Burma zu sagen hat, nicht ihre eigene Zeitung als Sprachrohr, sondern die FAZ.
Der gute alte Kampf gegen Pornos kinderleicht modernisiert
Einstweilen titelt Emma mit den Gefahren der Online-Sexsucht für den Mann von heute. So lässt sich der gute alte Kampf gegen die Pornographie kinderleicht modernisieren: Man tut einfach ein bisschen Internet dazu. Erkenntnisgewinn und gesellschaftliche Relevanz tendieren trotzdem gegen null.
Die Gründe dafür, warum Alice Schwarzers Medienpräsenz ungebrochen ist, während der klassische Feminismus, den sie verkörpert, in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sind simpel.

Frau Schwarzer ist, ob zu Recht oder zu Unrecht, die personifizierte Perpetuierung des weiblichen Opferschemas. Die Reduzierung komplexer Zusammenhänge auf Schwarz und Weiß, das Anbieten handlicher Mann-Frau-Antagonismen passt den Talkshows mit ihrem Parolengestus bestens in den Kram.

Dabei ist das Medienphänomen Schwarzer gerade deshalb so beliebt, weil es als solches den bestehenden Strukturen nicht gefährlich werden kann. Hinter den Kulissen liegen sich sämtliche Protagonisten in den Armen; Schattenboxen ist ihr Geschäft. Deshalb kann Alice Schwarzer heute für Bild werben und von Harald Schmidt, dem Altmeister des chauvinistischen Witzes, einen Publizistikpreis entgegennehmen.
Wenn die Intimrasur zum politischen Problem wird
Einstweilen versucht die nachfolgende Generation unter dem uralten Etikett "neu" eine Wiederbelebung des Feminismus durch Mund-zu-Möse-Beatmung. Die "neuen" Vertreterinnen nennen sich gern "Girls" oder "Mädchen", haben reden gelernt, lachen auch gern und sehen nicht nur für ihr Alter gut aus.
Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden; auch nicht gegen das Projekt, den Geschlechterkampf im dualen System der Unterhaltungsindustrie zu recyceln und damit tüchtig Geld zu verdienen. Von mir aus können junge Frauen auch gern ungewaschene Mösen und Vaginasekret in Döschen als eine Form weiblicher Freiheit betrachten - der wahre Kern der Freiheit in unserem Land besteht ja gerade darin, dass wir (fast) jedem Schwachsinn eine Ausdrucksmöglichkeit zugestehen.

Ärgerlich wird es, wenn durch die Verwendung des Begriffs "Feminismus" andere Frauen in Sippenhaft genommen und Alleinvertretungsansprüche behauptet werden. Vielleicht befreit es von einem gewissen psychischen Druck, die totale Reduzierung der Frau auf ihren Körper eigenhändig zu Ende zu führen, indem man Intimrasur zu einem politischen Problem erhebt.

Über die beiden Bücher MDR

"Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht."
Was mit dem pikanten Schlüsselroman "Feuchtgebiete" von Charlotte Roche begann, setzt sich jetzt mit Texten fort, die weniger auf Enthüllungen als auf Fakten und persönliche Eindrücke bauen. Da ist einmal das Buch "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht" von Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl und fast gleichzeitig ist das Buch "Neue deutsche Mädchen" von Jana Hensel und Elisabeth Raether erschienen.

Beide Texte, die "Alphamädchen" und die "Neuen deutschen Mädchen" handeln von jungen Frauen, Anfang 30, unabhängig, klug und selbstbewusst, die sich vom Feminismus einer Alice Schwarzer nicht mehr vertreten fühlen, weil ihre Probleme ganz andere sind als die von Frauen vor 30 Jahren. Der Feminismus war in den 70er- und 80er-Jahren eine wichtige Emanzipationsbewegung, um alte Denkmuster einzureißen. Seitdem hat sich gesellschaftlich so einiges bewegt, nicht zuletzt ist die Mauer verschwunden, hinter der sich auch zwei verschiedene Frauenbilder entwickelt haben.
"Wir versuchen, dieses 'Frau sein - heute' aus unserer persönlichen Perspektive zu erzählen, um auch in dieser Geschlechterdebatte, Frauendebatte, Familiendebatte, wie man das auch nennen will, um da so einen neuen Akzent zu setzen, weil wir festgestellt haben, alle reden über Frauen, alle wissen wie sie sind, aber niemand sagt 'Ich'."
Jana Hensel über ihre Sichtweise


Jana Hensel und Elisabeth Raether beschreiben das "Neue deutsche Mädchen"
Frauenbilder und Rollenverständnis
Die heutige Generation kann mit vielen Schlachtrufen der ursprünglichen Emanzipationsbewegung nichts mehr anfangen. Es gibt aber auch ein wiedererstarktes konservatives Frauenbild, das an die "Ideale" der 50er-Jahre anknüpfen will.

Ursprünglich ist der Feminismus, der, das sei hier noch mal betont, schon hundert Jahre älter ist als Alice Schwarzer, eine politische Bewegung. Sein Ziel war und ist die Gleichwertigkeit, Menschenwürde und Entscheidungsfreiheit von Frauen. Auf den ersten Blick sind diese Ziele erreicht, auf den zweiten Blick scheinen sich aber immer noch Hürden aufzubauen. Und die sind so subtil wie hartnäckig. Wo die "Neuen deutschen Mädchen" "Ich!" sagen, sagen die "Alphamädchen" "Wir!" und deklinieren die alten Themen von Abtreibung bis Sexismus aus ihrer Sichtweise noch einmal durch.

"Alphamädchen" und "Neue deutsche Mädchen", das sind im Grunde zwei Seiten einer Medaille. Hier die Fakten, die Hintergründe, die Ratio, dort das Weiche, weniger Greifbare, das Gefühl, heute in Deutschland jung und weiblich zu sein. Welchen Text man zuerst liest, ist eigentlich egal, notwendig sind beide Bücher. Und sei es nur als Zwischenrufe in einer Debatte, in der die klassische Rollenverteilung von Mann und Frau nur allzu gern wieder aufgerufen wird.
"Für uns war der ausschlaggebende Punkt dieser Backlash, dieses starke Rückorientieren in die 50er-Jahre und da nach Lebensformen zu suchen, das hat uns so entsetzt und auch wütend gemacht, dass uns da wieder Schranken auferlegt werden sollten, nur weil zu wenig Kinder geboren werden, dass wir ganz konkret gesagt haben: 'Da müssen wir was dagegen setzen.' Und das haben wir am Anfang noch gar nicht Feminismus genannt, wurde dann aber genau zu dem."
Susanne Klingner, Co-Autorin von "Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht"

Alter und neuer Feminismus

Sie nennen sich „Alphamädchen“ oder „neue deutsche Mädchen“ und sind doch längst dem Pubertätsalter entwachsen. Vertreterinnen der Generation 30plus propagieren selbstbewusst einen neuen Feminismus und wollen sich befreien - nicht von den Männern, zu aller erst von Alice Schwarzer. Von ihr, der Urmutter des bundesdeutschen Feminismus und Wegbereiterin der Frauenemanzipation, fühlen sich die Berliner Autorinnen Jana Hensel und Elisabeth Raether oder auch die „Alphamädchen“ Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl nicht mehr vertreten. Zu männerfeindlich, zu lustfeindlich, zu verbissen ist für sie die Emma-Gründerin. Ihre Verdienste finden zwar auch noch bei den Jungen Anerkennung. Doch der Kampf gegen das Patriarchat und für die Abtreibung war gestern, und Schwarzers PorNo-Kampagne ist für sie von vorgestern. Die Feministinnen von heute wollen anstelle einer politischen Auseinandersetzung lieber zum Ausdruck bringen, wie „Frausein aus der persönlichen Perspektive“ aussieht. Und wie persönlich das sein kann, zeigt eine weitere Neu-Feministin: Charlotte Roche. Ihr Tabubrecher–Buch „Feuchtgebiete“, in dem sie mit Hingabe die weibliche Intimsphäre erforscht, ist über Nacht zum Top-Seller geworden.

Fast milde reagiert Alice Schwarzer auf die Attacken der „neuen Feministinnen“. Als Journalistin, Schriftstellerin und Publizistin streitet sie unbeirrt weiter für die Sache der Frau.Jetzt wird Alice Schwarzer dafür mit dem renommierten Ludwig Börne-Preis ausgezeichnet.

ttt über Alice Schwarzer und die neuen Feministinnen, die sich „Mädchen“ nennen.
Text des Beitrags:
Bildunterschrift: ]
Sie liebt den großen Auftritt. Alice Schwarzer, deutsche Ur-Mutter der Emanzipation, furchtlose Feministin und unermüdliche Kämpferin. Die sich von niemandem den Mund verbieten lässt... und das Highlight jeder Talkshow. Ihre Gegner müssen einstecken können - am Ende bleibt sie immer die lachende Dritte. Alice Schwarzer predigt, schimpft und mahnt. Und geht vielen auf die Nerven...

Alice Schwarzer: „Da mach ich mir keine Sorgen, umstritten bin ich und bleibe ich.“

Widerspruch kommt jetzt von unerwarteter Seite – von jungen Frauen, die sich Mädchen nennen, aber schon über 30 sind. Sie wollen aufmerksam machen auf Probleme ihrer Generation und haben deshalb das Buch „Neue deutsche Mädchen“ geschrieben und auch sie wollen sich emazipieren - von Alice Schwarzer allerdings....

Jana Hensel: „Alice Schwarzer ist so alt wie meine Mutter. Ich bin auch mit meiner Mutter nicht immer einer Meinung. Wir möchten für uns selber sprechen.“

Die 30-jährige Susanne Klingner hat zusammen mit zwei weiteren Autorinnen das Buch „Wir Alphamädchen“ verfasst. Gemeinsam lehnen sie den alten als militant empfundenen Feminismus von Alice Schwarzer ab.

Alice Schwarzer: „Also dieses Spiel, das ich seit 35 Jahren kenne, und das mir aus den Ohren kommt, die Schwarzer ist von gestern, frustriert, das haben wir schon so oft gehört.“

Wie war das eigentlich, damals, in den 1970er Jahren, als Alice Schwarzer ihre ersten Aktionen startete? Viel Prügel musste sie einstecken. Sie war die Frontfrau im Kampf gegen konservative Abtreibungsgesetze. Sie verklagte den Stern wegen Sexismus, rannte gegen Wände, trat heftige Debatten los. Sie gründete die Zeitschrift EMMA und vertrat einen harten politischen Feminismus, rhetorisch brilliant und absolut kompromisslos. Wenn heute zumindest vor dem Gesetz, die Gleichheit von Mann und Frau erreicht ist, dann ist das auch ihr zu verdanken. Doch heute können ihr manche nicht mehr folgen – etwa, als EMMA kürzlich die dritte Auflage ihrer PorNo-Kampagne startete.

Alice Schwarzer: „Wenn ich mich mit Pornografie beschäftige, dieser Verknüpfung von sexueller Lust mit Erniedrigung, Erniedrigung und Gewalt –und Pornografie ist ja nichts anderes – dann schlägt mir schon ordentlich Häme und Gegenwind entgegen.“

Und das ausgerechnet von einer, die Alice Schwarzer ehemals bewundert hat – die 30-jährige Charlotte Roche, deren Roman „Feuchtgebiete“ seit Wochen auf Nummer eins der deutschen Bestsellerlisten steht. In ihrem Buch erforscht die ehemalige VIVA-Moderatorin den weiblichen Intimbereich, beschreibt die weibliche Lust in drastischer Sprache. Keine sexuellen Tabus! fordert Roche in ihrem Roman.

Charlotte Roche: „Mein Problem ist mit der Meinung von Frau Schwarzer, dass sie sagt, grundsätzlich, Pornografie ist was Schlechtes – das find ich zu einfach. Wenn man sich da durchwühlt durch den ganzen Dreck, dann findet man viele Perlen, und die will ich mir nicht verbieten lassen.“

Charlotte Roche hat noch ein Problem mit Schwarzer - findet sie nicht mehr glaubhaft, wegen ihrer Werbeaktion ausgerechnet für die BILD-Zeitung... Ist Alice Schwarzer also längst nicht mehr die Instanz der Gleichberechtigung für diese junge Frauen? Gerade was Bildung angeht, haben sie ja mächtig aufgeholt. Aber was Beruf, Karriere und Einkommen angeht, stehen sie immer noch schlechter da als Männer. Und vieles, was ihnen heute als selbstverständlich erscheint, hat Alice Schwarzer einst erkämpft . Und sie legt auch heute noch den Finger immer wieder in die Wunden, oder besser - mitten in die weiblichen Problemzonen...

Alice Schwarzer: „Heute ist die Frage verschärft der Schönheitswahn. Oder der Schlankheitswahn. Ganze Klassen kippen in die pathologische Hungersucht. Das ist heute die Sucht Nummer eins von Frauen. Also es gibt neue Probleme. Während die Welt den Frauen offen steht, wird ihr Körper zum Gefängnis.“

Inzwischen haben sogar internationale Model-Agenturen das Problem erkannt und wollen keine Mager-Modelle mehr engagieren. Für Alice Schwarzer ist der Schönheitswahn ein Zugeständnis an männliches Begehren. Das wiederum bedeutet Unterwerfung. Die jungen Feministinnen widersprechen – sie halten zwar den Körperkult für übertrieben, aber sehen sich keinesfalls in einer Opferrolle.

Jana Hensel und Elisabeth Raether: “Schönheitswahn, Magersucht – das sind heute keine Mittel zur Unterwerfung der Frau, das sind Mechanismen, die laufen subtiler. Und das ist da, wo Alice Schwarzer ungenau wird, und da habe ich das Gefühl, sie spricht nicht für mich und die spezifisch weiblichen Probleme.“
Spezifisch weibliche Probleme – für die Autorinnen längst nicht mehr verursacht durch männliche Dominanz. Kein Wunder, denn sie wohnen im Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg, wo schon viele Männer die Kinder betreuen und die Gleichberechtigung in der Mitte der Familie angekommen zu sein scheint. Männerfeindlichkeit ist hier völlig out. Auch bei den Aphamädchen“..“

Susanne Klingner: „Der Ansatz, dass wir die Männer außen vorlassen, funktioniert für uns einfach nicht. Wir wollen die Männer dabei haben, wollen, dass sie sich mit uns entwickeln, mit uns versuchen, neue Lebensformen zu entwickeln, das ist schon der wichtigste Punkt.“
Die Kampfzone hat sich verschoben. Der Knackpunkt liegt für die Neu-Feministinnen in den vielen verschiedenen Rollen, die Frauen heute gleichzeitig ausfüllen: Sie sollen die coole Mutter sein, die erfolgreiche Karrierefrau und die Verführerin, die bei allem Stress nichts von ihrer Weiblichkeit verliert. Der reinste Rollensalat.

Alice Schwarzer : „Dieser Zynismus, dass man den Frauen gesagt hat, ihr könnt alles, ihr könnt Topkarriere machen, ihr seit supersexy, ihr seid tolle Mütter – natürlich, irgendwann brechen die mit Burnout zusammen.“

Susanne Klingner: „Das ist ein Folge des Feminismus und ein Missverständnis, dass aus einem 'Alles sollte möglich sein', ein 'alles muss sein' geworden ist. Aber Uns ist wichtig, wieder den Weg zu bereiten für ein: 'Alles soll möglich sein'. Also: Man kann alles, muss aber nicht.“

Es gibt noch viel zu tun – da sind sich wohl alle Frauen einig. Vielleicht liegen die alten und neuen Positionen gar nicht so weit auseinander. Könnte es nach den historischen Feministinnen des 19.Jahrhunderts und den Feministinnen der 70er Jahre, zu denen Alice Schwarzer gehört, demnächst eine gemeinsame Bewegung , geben - mit einem entspannteren Rollenverständnis?

Alice Schwarzer: „Es wird höchste Zeit für eine dritte Welle. Wenn sich das zusammen tun würde und mit einer gemeinsamen Stimme sprechen würde, wäre das fabelhaft.“

Wir jedenfalls gratulieren zum Börnepreis. Frau Schwarzer. Sie dürfen uns auch in Zukunft auf die Nerven gehen. Wir freuen uns drauf.