Samstag, 28. Juni 2008

Frauen coachen Frauen / Juninewsletter / Interview mit Julia Witt

FcF: Frau Witt, könnten Sie den Leserinnen unseres Newsletters einen Überblick über Ihren
beruflichen Werdegang geben?

Julia Witt: Von Haus aus bin ich Diplomkulturwissenschaftlerin, habe an der TU unterrichtet
und eine Dissertation begonnen (leider nur begonnen…), dann im Bereich
Stadtraumgestaltung und im Bereich Jugendpolitik gearbeitet. In der Zeit war ich u.a. die
Landesvorsitzende der Abenteuerspielplätze und Kinderbauernhöfe in Berlin – eine
besonders spannende Zeit. Über die Jugendpolitik bei einer großen Stiftung bin ich dann in
die politische Leitungsebene der Senatsverwaltung für Jugend und Sport gekommen und
war persönliche Referentin bei Staatssekretär Frank Ebel.
Und nun bin ich seit 2001 bei Wirtschaft und nach einer Zeit als Persönliche Referentin von
Staatssekretär Volkmar Strauch, seit Juli 2003 Büroleiterin des Senators Harald Wolf.

FcF: Vielen BerlinerInnen sind Sie bekannt als Herausgeberin der Guten Nachrichten. Können Sie unseren Leserinnen, die nicht aus Berlin stammen, erklären worum es sich dabei handelt?

Julia Witt: Häufig gehen ja genau die positiven Alltagsnachrichten unter und finden keinen
Platz in den Medien. Deshalb gibt es die „Guten Nachrichten“. Sie sind ein Kundenbrief, der
Akteure aus Berlin und darüber hinaus unterrichten soll, was in unseren Themenfeldern, also
Wirtschaft und Frauen, aber auch Arbeit und Stadtraum, passiert. Es sind keine Interna, aber
doch sehr persönliche Informationen, die inzwischen eine kleine Fangemeinde haben.
Besonders wichtig ist mir die Vielfältigkeit, dass es keine homogenen Wirtschaftsnews sind,
sondern über Gruppen und Interessen hinweg Impulse gesetzt werden. Und sie sind ein
schöner Anstoß, mit Menschen ins Gespräch zu kommen.
FcF: Was organisieren Sie noch? Wo engagieren Sie sich noch?
Julia Witt: Sich mit anderen Frauen auch dafür zu engagieren, ihre beruflichen und
persönlichen Perspektiven zu entwickeln, ist mir – wie auch Ihnen – ein Bedürfnis. Eine
Zeitlang war ich Vorsitzende des Frauenbeirates im Prenzlauer Berg und habe auch
Vorträge zur Frauenliteratur gehalten. Jetzt lade ich zusammen mit Frau Liebich, der
Staatssekretärin für Arbeit, zu einem Frauensalon ein. Natürlich verfolge ich auch aktiv all
das, was die Frauenverbände und Netzwerke in Berlin auf die Beine stellen. Gerade jetzt
am 15.4. der Equal Pay Day vom BPW, war ja eine sehr gelungene Aktion, die auf die
Benachteiligungen von Frauen aufmerksam gemacht hat.

FcF: Darüber hinaus organisieren Sie in Brandenburger, also in der Provinz, noch ländliche Kultur?

Julia Witt: Im Norden Brandenburgs gibt es in der Tat nicht so viel Engagement, da sind die
Zuzügler und Wochenendnutzer wichtige Stützen des sozialen Lebens. Insofern haben wir in
unserem „Landhaus“ ( was mitten in der Stadt Fürstenberg ist ) begonnen, Lesungen und
Ausstellungen zu organisieren. Für mich auch ist das Gärtnern eine angenehme
Abwechslung geworden, und inzwischen hat sich über diese Aktivitäten ein fester
Freundeskreis “Gartenfreunde Fürstenberger Seenland“ etabliert. Es macht großen Spaß,
mit Menschen verschiedener Altersgruppen und Herkünfte zu planen und gemeinsam sich
auszutauschen. Bestimmte Probleme relativieren sich auch an der frischen Luft und mit
einem Spaten in der Hand aufs allerbeste.

FcF: „Nebenbei“ sind Sie Mutter und berufstätig in einem Vollzeitjob. Wie schaffen Sie es, das alles unter „einen Hut“ zu bekommen?

Julia Witt: Natürlich kommen Dinge zu kurz: Sport, abendliche Besuche in den attraktiven
Berliner Restaurants, Konzerthallen und Kneipen. Das Bier mit der Freundin ebenso. Auch
fehlen mir die Ruhe und der Erlebnishintergrund, mal wieder zu schreiben, das vermisse ich.
Ich gehe früh einkaufen und erledige Dinge, bin tagsüber meist im Büro und nehme keine
Arbeit mit nach Hause – und bin dann abends zwar spät da, aber dann voll für die Familie
da.

FcF: War das schon so, als Ihre Kinder noch kleiner waren? Wie haben Sie es während dieser Zeit geschafft, Kinder, Beruf und Ihre vielfältigen Interessen miteinander zu vereinbaren?

Julia Witt: In der Tat war es schwieriger – aber auch leichter. Ich wohne im Prenzlauer Berg
und habe damals am Kollwitzplatz gearbeitet – da war ich rasch mal dazwischen daheim,
wenn ich abends wieder los musste. Ich hatte großes Glück, weil bei uns noch zusätzlich
eine phantastische junge Frau wohnte, Anna war 15 und meine Tochter 5 , mein Sohn 6 –
sie war die Tochter eines Kollegen und mit ihrem Hund (! ) bei uns eingezogen. Wir haben
sie beim Abitur gestützt und gestärkt, sie hat die Kinder ins Bett gebracht, wenn ich abends
zu Ausschüssen musste – in der Zeit war ich auch Bezirksverordnete – und mit ihrer
liebevollen, anspruchsvollen und auch frauenpolitisch engagierten Sicht war sie den Kindern
wie auch mir eine ganz tolle Freundin.

FcF: Welchen Rat, können Sie unseren Leserinnen geben, wenn es um das Thema
„netzwerken“ geht? Ist das wichtig? Warum, warum nicht?

Julia Witt: Klares ja. Es verschafft Einsichten, man sieht und erfährt sich in anderen
Zusammenhängen als im täglichen Büroalltag, lernt die eigene Situation zu relativieren und
erhält Rat und Unterstützung. Ich persönlich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht,
dass manche Frauen in einem Frauennetzwerk zu viel erwarten, was sich ausschließt:
Freundschaft/ Nähe und Jobs und Karriereunterstützung. Fallenlassen und Rat und Politik
und Selbstvergewisserung: wer sind wir. Für viele, die tagsüber sehr angespannt sind,
verlangen zu Recht, dass ein Frauen-Netzwerk nicht die Machtspiele der Büroebene
fortführt, sondern frau entspannt sein kann und trotzdem angeregt wird. Reine Clubs, die mit
der Mitgliedschaft allein werben, reichen in Berlin nicht aus. Es gibt jeden Abend hundert
Optionen und da muss klar sein: was ist der Mehrwert, den ich davon habe, was bringt mir
mein Engagement hier, warum ist mein Mitgliedbeitrag hier richtig aufgehoben.

FcF: In Ihrer jetzigen Tätigkeit beschäftigen Sie sich viel mit frauenspezifischen Themen. Welche Themen brennen Frauen heute unter den Nägeln?

Julia Witt: Da kann ich nur Beispiele nennen:
1. Sinnerfüllende Berufstätigkeit und gerechte Entlohnung:
Gerade für viele Frauen würde ein Mindestlohn bedeuten, dass sie klar besser gestellt sind.
2. Liebe und Partnerschaft:
Es gibt mehr Optionen, aber es ist nicht einfacher, sich mit der Vielfalt der Lebensmodelle
auseinanderzusetzen. Gerade viele kluge Führungsfrauen sind im Privatleben ohne
adäquaten Partner und Berlin ist die Hauptstadt der Singles. Andererseits sind viele Paare
durch die Hartz IV Themen belastet, ein Partner ohne Einkommen oder eine eingefahrene
berufliche Situation ohne Chancen können zerstörerisch sein.
3. Globalisierung und Heimat:
Wer mit der Möglichkeit , aber auch dem Druck der globalen Berufsfelder operieren kann, ist
mobil – aber oft auch ohne Heimat. Heute hier, morgen in London oder sollte frau eher
chinesisch lernen? Mit dem weltweiteren Wettbewerb umzugehen, aber nicht zum seelischen
und praktischen Nomaden zu werden – dafür haben wir keine Erfahrungen der Eltern,
Vorfahren, da sind wir zwischen den Websites und Hochglanzzeitschriften ziemlich
überfordert, manchmal.

FcF: Wie sieht es aus in Berlin in Sachen berufliche Förderungen von Frauen
(Frauenquote), familienfreundliche Unternehmen und Kinderbetreuungsangebote für berufstätige Mütter. Wo gibt es aus Ihrer Sicht Schwerpunkte ?

Julia Witt: Spontan fallen mir drei Themen ein...

1. Ungleiches Einkommen abbauen:

Viele Frauen arbeiten im Dienstleistungsbereich, Reinigung, Bildung, Sozialwesen,
Einzelhandel, Pflege. Gerade dort wird häufig sehr niedrig bezahlt und da Frauen häufig
noch durch Pflege von Familienmitgliedern Teilzeit arbeiten, sind sie bis zur Rente an ein
geringeres Einkommen gekoppelt. Wer jung, mobil, ohne Kinder und global unterwegs ist, in
der Kreativwirtschaft oder in großen erfolgreichen Beratungsfirmen arbeitet, verdrängt dies
oft oder glaubt, die eigene Situation werde sich dank der guten Beziehungen besser
gestalten. Das ist gewiss oft auch so – dennoch sind frauenpolitische Themen immer noch
wert, dass man sie gesamtgesellschaftlich betrachtet und dafür kämpft.

2. Betreuung der Familien verbessern und auf breitere Schultern legen:

Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, deren Problematik (unsere Kollegin
Frau Daniel hat mal treffend gesagt, da gibt es nichts zu vereinbaren, sondern man muss
addieren...) ist in Berlin die Situation deswegen günstig, weil es gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt - auch für die unter 3 -Jährigen: In 2006 gab es einen Versorgungsgrad von rd. 42 % für die unter 3 - Jährigen, bei den Kindern von 3 - 6 lag er bei rd. 88 %, die Zahlen haben sich zwischenzeitlich eher verbessert, aktuellere liegen mir aber nicht vor, in dem Jahr von der Schule besuchen über 90 % der Kinder eine Einrichtung. Hinzu
zunehmend Angebote von flexibler Betreuung jenseits der üblichen Öffnungszeiten. Eine
entscheidende Verbesserung der letzten Jahre war die Ausdehnung der Betreuungsmöglichkeiten
im Grundschulbereich, früher war nach der 4. Klasse Schluss, jetzt geht es bis
zur 6. Klasse (allerdings qualitativ sind noch Lücken).

3. Qualitative Jobs für Frauen in Zukunftsfeldern

Das sind in Berlin .u. Gesundheitswirtschaft, Kreativwirtschaft, Mode – das sind Themen, in
denen Frauen Erfahrung und traditionell Wissen haben und mit ihren Stärken auch die
Entwicklung mitbestimmen können und müssten, die das Ganze nimmt.
Aber natürlich geht es auch um neue Formen der industriellen Fertigung – die
wissenschaftlich-technische Entwicklung dürfen Frauen nicht ignorieren, und sich nicht auf
ein Konsumentendasein reduzieren lassen. In den meisten asiatischen Ländern sind die
Frauen da vorn, und die Entwicklung ist für die Einzelnen häufig schwerer und es gibt mehr
Widerstände als in Deutschland. Da ist mehr drin!
Vielen Dank für das Interview.

http://www.frauen-coachen-frauen.de/src/newsletter/newsletter_fcf_06_08.pdf

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