Mittwoch, 30. Juli 2008

Seitdem haben die Männer zu leiden...Interview mit Doris Lessing

Die preisgekrönte Schriftstellerin über ihre Mutter, ihre Kritiker, den Feminismus, Tony Blair - und Yum-Yum - aus der Frankfurter Rundschau

Sie sind 88 Jahre alt, haben den Literatur-Nobelpreis gewonnen und ein neues Buch veröffentlicht. Der Titel "Alfred & Emily" bezieht sich auf Ihre Eltern, die als britische Kolonialsiedler in Südrhodesien lebten, wo Sie Ihre Kindheit verbrachten. In dem Buch erzählen Sie die Geschichte Ihrer Eltern zweimal. Einmal als Novelle, in der sie ein glückliches Leben führen, und dann als Biographie, basierend auf den traurigen Tatsachen. Ich halte es für ein liebevolles Buch.

Es ging mir nicht darum, liebevoll zu sein, sondern darum, meiner Mutter gerecht zu werden. Ich wollte ihr Leben so beschreiben, wie es hätte sein können, wäre ihr im Ersten Weltkrieg nicht so übel mitgespielt worden.


In der Novelle hat der Krieg nie stattgefunden, und Ihre Mutter wird zu einer einflussreichen Lehrerin, zu deren Beerdigung Hunderte von Menschen kommen. Im wirklichen Leben jedoch fristet sie ihr Leben in Afrika als Hausfrau.
Ich sehe sie so. Sie war eine bemerkenswerte Frau. In Südrhodesien konnten sich ihre vielen Talente nicht entfalten. Ich wusste, dass sie unterfordert war. Entscheidend ist, dass ich mir für sie ein Leben ausgedacht habe, in dem ihre wahren Qualitäten zum Einsatz kommen. Das ist das Entscheidende, nicht die Tatsache, dass wir nicht miteinander auskamen.

Aber ist es nicht zu spät, ihr ein erfülltes Leben zu schreiben, wo sie es doch nicht mehr lesen kann?

Das kann sie nicht mehr, das stimmt. Aber es ist auf jeden Fall gut für mich. Sie hat allerdings nichts davon.

Ihr berühmtestes Buch ist "Das goldene Notizbuch", das 1962 erschien und seitdem als Klassiker des Feminismus gilt - ein Etikett, mit dem Sie nicht einverstanden zu sein scheinen.

In meinen Augen hat der Feminismus den Frauen nicht besonders gut getan. Wir haben einige ziemlich furchterregende Exemplare hervorgebracht. Als man den Frauen den Freiraum gab, auf unangenehme Weise kritisch zu sein, haben sie die Gelegenheit sofort beim Schopf ergriffen, und seitdem haben die Männer zu leiden.

In den letzten zwanzig Jahren haben Sie sich immer mehr dem Science-Fiction-Genre zugewandt, was Literaturkritiker, wie zum Beispiel Harold Bloom, enttäuscht hat.

Was Bloom sagt, ist mir völlig egal. Eine Menge Leute sind der Ansicht, dass die Science-Fiction-Bücher zu meinen besten Werken zählen, und deren Meinung zählt genauso viel wie die von dem verdammten Harold Bloom.

Als man Ihnen letztes Jahr den Nobelpreis verlieh, bezeichnete Bloom die Entscheidung als "bloße politische Korrektheit" - wahrscheinlich, weil Sie eine Frau sind.

Ich erinnere mich. Das war ziemlich bösartig von ihm. Glauben Sie mir, wenn er den Nobelpreis bekommt, werde ich nicht so gehässig sein.

Praktizieren Sie noch immer den Sufismus?


Es ist eher ein "Lernen", ein "Studieren".

Handelt es sich nicht um eine Unterart des Islams, die von Mohammed begründet wurde?

Das denken die Leute, weil sie einfach im nächstbesten Lexikon nachgeschlagen haben, aber in Wahrheit hat der Sufismus schon immer Anhänger gehabt, die aus allen möglichen Religionen - oder auch aus gar keiner - kamen.

Als jemand, der seit langer Zeit in London lebt, was denken Sie über die wachsende islamische Präsenz in Europa?

Ich rede nicht ständig darüber, so wie unsere beiden Kreuzritter.

Meinen Sie Martin Amis? Und wen noch?


Der andere, der ständig über den Islam schwadroniert. Christopher Hitchens. Ich will nicht noch weiter Gift in die Suppe rühren. Die Sache ist so schon unerfreulich genug, also belassen wir es dabei.

Haben Sie etwas zu Gordon Brown zu sagen, Ihrem relativ neuen Premierminister?

Tony Blair hat uns mit Brown zurückgelassen. Ich mag ihn zwar nicht besonders, aber im Vergleich zu Blair - der war ein solcher Gauner! Zum Glück ist er weg.

Was haben Sie gegen Brown?


Er bemüht sich sehr, aber wie Sie vielleicht bemerkt haben, befinden wir uns in einer Rezession. Im Fernsehen wird über nichts anderes geredet. Allerdings reden wir nie von einer Depression, denn das wäre zu schwer zu ertragen.

Leben Sie allein?

Ich habe eine Katze, Yum-Yum. Sie ist ein sehr schwieriges Persönchen. Man muss sie behandeln wie eine Prinzessin, sonst benimmt sie sich unmöglich.

Sie haben mehr als 50 Bücher geschrieben. Schreiben Sie immer noch täglich?


Nein, ich habe überhaupt keine Energie mehr. Ich habe Ideen, die ich wahrscheinlich niemals aufschreiben werde. Da ich aber in meinem Leben ziemlich viel geschrieben habe, lohnt es sich nicht wirklich, ihnen hinterher zu weinen.

Interview: Deborah Solomon

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen