Nur wenige Frauen gelangen in Top-Positionen. Der Soziologe Carsten Wippermann erklärt im Interview, wie die Männerwelt die Konkurrentinnen systematisch abriegelt.
ZEIT ONLINE: Herr Wippermann, Sie haben in den vergangenen Wochen die Funktion und Wirkung der gläsernen Decke untersucht. Sind Sie jetzt ein anderer Mann?
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Carsten Wippermann: (lacht) Ich hoffe, meine Frau, die gemeinsam mit mir an der Studie gearbeitet hat, sieht das nicht so. Vor allem unsere beiden Töchter können nichts mehr von der gläsernen Decke hören. Aber ich denke, das ändert sich auch wieder.
ZEIT ONLINE: Sie haben drei Mentalitätsmuster bei Männern im Management ausgemacht, die wie eine dreifache Schranke gegen Frauen wirken. Hat Sie das erstaunt?
Wippermann: Es gab gleich mehrere Ergebnisse, die uns überrascht haben. Zum einen sprachen die von uns befragten Männer sehr positiv über Frauen. Auf der Einstellungsebene haben diese Manager eine große Sympathie für Frauen in Führungspositionen. Aber man kann dies leicht als gender political correctness entlarven, wenn man in die Tiefe geht.
Der Frauenanteil in den Kontrollgremien von Unternehmen mit Sitz in Deutschland beträgt etwa zehn Prozent. Obgleich eine Erhöhung des Frauenanteils seit Jahrzehnten gefordert wird, hat sich bislang kaum etwas verändert. Nun hat ein Forscherteam um den Soziologen Dr. Carsten Wippermann von Sinus Sociovision in Heidelberg im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend untersucht, wie Frauen beim Aufstieg in die Top-Positionen diskriminiert werden. Im Dezember wird die repräsentative Studie "Brücken und Barrieren für Frauen zu Führungspositionen" der Öffentlichkeit vorgestellt. ZEIT ONLINE liegen bereits heute einige der Ergebnisse vor.
Das Forschungsdesign
In einem zweistufigen Verfahren befragten die Forscher zunächst mit standardisierten, disproportionalen Fragebögen Männer und Frauen in Führungspositionen zu ihren Karrierewegen und Karriereeinstellungen befragt. Anschließend führten die Soziologen mit 30 Männern im mittleren und gehobenen Management narrative Tiefeninterviews von zwei bis drei Stunden Dauer durch, um mehr über ihre Einstellungen zu Frauen in Kontrollgremien der Wirtschaft zu erfahren. In einem dritten Schritt wurden Personaldienstleistungsunternehmen befragt.
Die Fragebogenauswertung zeigte, dass Kinder offenbar nicht das Karrierehindernis sind: Immerhin 61 Prozent der befragten Frauen haben Kinder und sind trotzdem in einer Führungsposition. In ihrer Einstellung zu den Erfolgsfaktoren für eine Karriere unterscheiden sich die befragten Managerinnen und Manager nicht. Auch nicht, was ihre Einschätzung über Frauen in Führungspositionen angeht: Hier geben beide Geschlechter an, prinzipiell positiv gegenüber Frauen in Top-Positionen aufgeschlossen zu sein. Während Männer jedoch meinen, dass Frauen mit gleicher Leistung in der Hierarchie aufsteigen, geben 75 Prozent der Frauen an, dass sie viel mehr arbeiten müssen. Die Wahrnehmung ist zwischen den Geschlechtern also unterschiedlich.
Die Tiefeninterviews fördern bei den Männern drei Mentalitätsmuster zu Tage: Allen drei Typen fallen Gründe ein, warum Frauen nicht in die Top-Positionen kommen können, aber keine, weswegen dies gelingen könne. Der konservative Typus glaubt, dass Frauen qua Geschlecht weniger geeignet seien, der emanzipierte Typus nimmt an, dass Frauen schlicht chancenlos gegenüber männlichen Machtritualen sei und der individuelle Typus meint zwar, dass das Geschlecht keine Rolle spiele, aber es nicht genügend authentische und flexible Frauen gebe. Alle drei Mentalitätsmuster wirken zusammen wie mehrdimensional miteinander verschränkte Sperren in Unternehmen: Werden Frauen einer der genannten Anforderungen gerecht, fallen sie somit zugleich unter das diskreditierende Verdikt des anderen. Als Elemente eines Systems erzeugen die Denkmuster damit eine mehrfach gesicherte soziale Schließfunktion mit sehr selektiver Durchlässigkeit.
ZEIT ONLINE: Sie haben in einem ersten Schritt über 500 Männer und Frauen in Führungspositionen bei privatwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland befragt – und anschließend mit 30 Männern Tiefeninterviews geführt. Wussten die Befragten, worum es in der Studie geht?
Wippermann: Nein, wir haben das genaue Thema und den Auftraggeber nicht genannt. Es wäre sonst zu einem Antwortverhalten entsprechend der sozialen Erwünschtheit gekommen. Wir haben den Befragten aber mitgeteilt, dass es um Männer und Frauen in Führungspositionen geht. Auch haben wir absolute Diskretion zusagt. Anders kann man solche narrativen Tiefeninterviews nicht machen.
ZEIT ONLINE: Wie lief die Befragung ab?
Wippermann: Wir hatten einen Untersuchungszeitraum von acht Wochen. Die Manager wurden von Männern befragt, die Interviews wurden aufgezeichnet und hinterher transkribiert. Beim Lesen der Transkripte haben wir in mixed teams gearbeitet. Derjenige, der das Interview geführt hatte, brachte eine tiefe Nähe mit – der Teampartner brachte mit seiner Distanz eine andere Perspektive ein. Es war erstaunlich zu sehen, dass die Interviewer die Aussagen der Manager verteidigt haben. Der Prozess der Auswertung war für uns hoch spannend.
ZEIT ONLINE: Spannend sind die Ergebnisse. Sie machen aus, dass bei Männern in Führungspositionen nur oberflächlich eine Offenheit für Frauen besteht. Aber unter der Oberfläche schlummern Chauvinisten, die lieber unter sich selbst bleiben wollen?
Wippermann: So drastisch würden wir das nicht ausdrücken. Aber Sie haben Recht. Wir haben ausgemacht, dass latent drei verschiedene Mentalitätsmuster mit ihrer je eigenen Logik laufen, die schwer zu enthebeln sind. Wird Frauen der Zugang zu Posten in Kontrollgremien geboten, schließen sich gleich wieder andere Türen. Die dominierenden Mentalitätsmuster wirken wie ein mehrfach abgeriegeltes System.
ZEIT ONLINE: Das müssen Sie genauer erläutern. Wie funktioniert das?
Wippermann: Alle 30 von uns befragten Manager konnte man einem Typus zuordnen. Der eine ist sehr konservativ. Bei ihm kann man eine kulturelle und funktionale Ablehnung von Frauen qua Geschlecht ausmachen. Zitate aus den Interviews sind: Frauen seien eine Irritation im inner circle und unerwünscht im Vorstand. Der andere Typus hat eine emanzipierte Grundhaltung und geht davon aus, dass Frauen chancenlos gegen die Machtrituale seien. Das Topmanagement verlangt Härte und das steht im Widerspruch zum Frauenbild in unserer Gesellschaft. Es fielen Formulierungen wie: Ein Vorstandsposten ist eine andere Sportart – und Frauen hätten nicht die Härte dafür. Frauen, die entsprechend auftreten, wirken dann nicht mehr authentisch – und für diesen Typus ist aber Authentizität ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor. Der dritte Typus zeigt einen radikalen Individualismus. Diese Männer sagen, dass das Geschlecht eigentlich keine Rolle dabei spielt, wenn es um die Besetzung einer Führungsposition geht. Aber es gebe nicht genügend Frauen, die authentisch und flexibel genug dafür seien. Alle drei Haltungen kommen in einem Unternehmen vor. Das heißt: Erfüllt eine Frau eine der genannten Anforderungen, steht sie damit im Widerspruch zu den anderen beiden. Die gläserne Decke ist also dreifach gesichert.
"Die Männer sind die Hüter der gläsernen Decke"
ZEIT ONLINE: Woher kommen denn diese Mentalitätsmuster – und konnten Sie erkennen, dass ältere Männer eher konservativ, jüngere eher individuell eingestellt sind?
Wippermann: Woher die Muster kommen, haben wir nicht untersucht. Und wir konnten nicht ausmachen, dass ein Muster bei einer bestimmten Generation besonders stark ausgeprägt war. Es gibt sehr junge Manager, die stark konservativ eingestellt sind und ältere, die eine individuelle Haltung haben. Aber alle wussten genau, warum Frauen nur schwer in Führungspositionen kommen können.
ZEIT ONLINE: Sie haben auch abgefragt, ob sich der Anteil von weiblichen, besonders gut qualifizierten Führungskräften von alleine erhöhen wird. Welches Ergebnis gab es hier?
Wippermann: Sowohl die Männer als auch die Frauen sind wenig optimistisch. 26 Prozent der Frauen glauben daran und 29 Prozent der Männer.
ZEIT ONLINE: Haben Sie auch einen Qualitätsaspekt beleuchtet? Auffällig ist ja, dass wann immer es um den Frauenanteil in Führungspositionen geht, auch die Frage nach der Qualität der Führung gestellt wird.
Wippermann: Wir haben abgefragt, ob die Befragten glauben, dass ein Mehr an Frauen für Unternehmen positiv wirkt. Es stellte sich heraus, dass sowohl Männer als auch Frauen der Meinung sind, dass am Besten für den Erfolg ihres Unternehmens eine Mischung aus einem gleichen Anteil männlicher und weiblicher Manager ist. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass gemischte Teams auch auf internationaler Ebene einen Wettbewerbsvorteil bedeuten, weil die Unternehmen flexibler sind.
ZEIT ONLINE: Was sind Ihre Handlungsempfehlungen?
Wippermann: Diese werden wir formulieren, wenn die Studie veröffentlicht wird. Das Ministerium wird sich hierzu äußern.
ZEIT ONLINE: Zu guter Letzt: In Ihrem Forschungsteam – waren da mehr Männer oder Frauen?
Wippermann: (lacht) Wir waren absolut paritätisch besetzt. Und wie ich schon sagte, habe ich gemeinsam mit meiner Frau an der Studie gearbeitet.
Die Fragen stellte Tina Groll.