Mittwoch, 24. September 2008

Feminismus und Migrantinnen

Feminismus ist unteilbar
KOLUMNE VON HILAL SEZGIN aus der TAZ vom 19.09.

Schon seit einiger Zeit nagt an mir, was meine Kollegin Mely Kiyak kürzlich in der Zeit schrieb. Die neu erwachte Feminismusdebatte, schrieb Kiyak dort, interessiere sich nicht für Frauen mit Migrationshintergrund. Der deutsche Feminismus gefalle sich in der Klage, dass es deutsche Frauen "schwer" hätten. Doch Nilüfer, Emine und Hatice hätten es "schwerer".

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in der Lüneburger Heide.
Grundsätzlich ist dieser Einwand weder ganz falsch noch ganz neu. Schon in den 80ern haben afroamerikanische Feministinnen in den USA kritisiert, der Feminismus sei vor allem eine Veranstaltung weißer Mittelschichtlerinnen. Auch lesbische Feministinnen haben damals wie heute an ihre Belange erinnert, doch anscheinend ohne dauerhaften Erfolg. Die aktuelle Beruf-und-Familie-Diskussion jedenfalls kreist wieder wie selbstverständlich um die heterosexuelle Frau.

Ausgerechnet aus dem Munde türkischstämmiger Frauen in Deutschland jedoch klingt es etwas sonderbar, wenn sie mehr Aufmerksamkeit verlangten: Denn um das Patriarchat, in der die arme "Orientalin" vermeintlich gefangen ist, ist in Deutschland längst eine kleine Feminismusindustrie entstanden. Es gibt sogar ein eigenes Buchgenre, das sich den Leidensgeschichten von Anatolierinnen widmet. Zu diesem Thema tauchen Frauen in zig Talkshows in einer Häufigkeit auf, in der wir weibliche Expertinnen sonst nie auf dem Bildschirm zu sehen bekommen. Dass es "Emine" schwer hat, bezweifelt keiner, im Gegenteil: Sie wird, zumal wenn sie ein Kopftuch trägt, dafür öffentlich so lautstark bedauert, dass sie es dadurch nur noch schwerer hat.

Während türkischstämmige Frauen überproportional häufig zum Gegenstand patriarchatskritischer Betrachtungen werden, hören wir von der "allgemeinen" Patriarchatskritik viel zu wenig. "Allgemein" hieße nämlich, dem Sexismus der deutschen Gesellschaft nicht nur am Objekt der türkischstämmigen Minderheit nachzuspüren. Ein aufrichtig gemeinter Feminismus sollte nicht nur darüber sprechen, wenn Hatice von Hasan geschlagen wird, sondern auch von Heike und Heinz reden. Wer die Übel des Patriarchats vornehmlich im "Orient" oder in seinen Ablegern, den hiesigen "Parallelgesellschaften" diagnostiziert, bastelt mit an einem Entlastungsdiskurs, demzufolge es in Deutschland emanzipationsmäßig bereits zum Allerbesten steht.

Womit sich die Frage stellt, was denn nun tatsächlich im Argen liegt. Um welche Themen hat sich ein "allgemeiner" Feminismus in Deutschland zu kümmern - und betreffen sie deutschstämmige Frauen mehr als die mit Migrationshintergrund? Vermutlich gibt es so viele To-do-Listen, wie es Feministinnen gibt; aber meine eigene Auswahl würde lauten: Die zentralen Punkte sind Geschlechterrollen, (Un)Gleichheit auf dem Arbeitsmarkt und Sexualität. Und natürlich kommen alle drei meistens zusammen. Geschlechterrollen sind es, die auch in vermeintlich emanzipierten Zeiten unsere Gesellschaft in zwei säuberlich getrennte Hälften spalten. Ihretwegen darf als Lieblingssport "der" Deutschen Fußball gelten, obwohl vornehmlich von Männern gespielt und geschaut. Ihretwegen bringen Frauen zu kollektiven Anlässen Kuchen oder Salate mit, während Männer auf Ermahnung den Müll nach unten tragen. Ihretwegen ziehen Männer bei festlichen Gelegenheiten einen dunklen Anzug an und Frauen ein möglichst figurbetontes Kleid.

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